TÖTEN ALS STAATSAUFGABE
von Bernward Büchner
Vor 24
Jahren schrieb der Staatsrechtler Josef Isensee, die Abtreibung als Leistung
der Sozialversicherung bedeute: "Der Staat tötet". Daran hat sich inzwischen
nichts geändert. Das flächendeckende Angebot von Einrichtungen zur Vornahme
von Abtreibungen ist eine "Staatsaufgabe" und der tötende Eingriff eine
Kassenleistung, die teils von den Beitragszahlern und teils aus der
Staatskasse finanziert wird. Nach dem Abtreibungsurteil des
Bundesverfassungsgerichts von 1993 jedoch darf unser Rechtsstaat sich an der
Tötung ungeborener Kinder nicht beteiligen, von deren Rechtmäßigkeit er
nicht überzeugt sein kann wie bei der nach dem "Beratungskonzept"
erfolgenden. Das betrifft etwa 98 Prozent der Schwangerschaftsabbrüche, also
nahezu alle. Der Sozialstaat, so die Karlsruher Richter, könne nur mit den
Mitteln des Rechtsstaats verwirklicht werden. Mit der staatlichen
Schutzpflicht für das ungeborene menschliche Leben sei die Gewährung von
Leistungen für solche Schwangerschaftsabbrüche nicht vereinbar. Denn dadurch
würde "das allgemeine Bewusstsein in der Bevölkerung, dass das Ungeborene
auch gegenüber der Mutter ein Recht auf Leben hat und daher der Abbruch der
Schwangerschaft grundsätzlich Unrecht ist, erheblich beschädigt".
Dieser
Beschädigung, ja Zerstörung des Rechtsbewusstseins haben die
Verfassungsrichter, alle hehren Grundsätze über Bord werfend, jedoch selbst
Tür und Tor geöffnet. Eine Inanspruchnahme der Sozialversicherung haben sie
nur insoweit ausgeschlossen, als es um "den Abbruch selber" geht.
Dessen
Kosten dürften bei Bedürftigkeit der Frau freilich vom Staat übernommen
werden. Dieses Schlupfloch nutzend legt das Gesetz zur Hilfe für Frauen bei
Schwangerschaftsabbrüchen "in besonderen Fällen" die Grenze der
Bedürftigkeit derart fest, dass seine Praxis zu einer Kostenerstattung aus
den Haushalten der Länder für über 90 Prozent der "beratenen" Kindestötungen
in einer Höhe von jährlich mehr als 40 Millionen Euro führt. Gerechtfertigt
soll diese skandalöse Praxis deshalb sein, weil die Inanspruchnahme eines
Arztes nicht am Fehlen der hierfür erforderlichen finanziellen Mittel
scheitern dürfe und die Frau sonst den Weg in die Illegalität suchen und
gesundheitlichen Schaden erleiden könne. Doch welche Frau wird heute noch
wegen der Kosten von rund 300 Euro den Weg zum Arzt scheuen? Zu den
legitimen Mitteln eines Rechtsstaats gehört jedenfalls nicht die
rechtswidrige Tötung ungeborener Kinder durch Ärzte im Gesundheitsinteresse
der Mutter.
Nach der
jüngsten Geburtenstatistik des EU-Statistikamtes Eurostat nahm Deutschland
im Jahr 2009 unter allen EU-Mitgliedsstaaten erneut mit Abstand den letzten
Platz ein. Die unbestreitbaren Folgen dieser Entwicklung sind verheerend.
Höchste Zeit aufzuwachen und den verhängnisvollen Weg der Tötung ungeborener
Kinder durch den Staat endlich zu verlassen.
Der
Verfasser ist Vorsitzender Richter am Verwaltungsgericht a.D. und
Vorsitzender der Juristen-Vereinigung Lebensrecht e.V. (Köln).
(aus Die Tagespost, 10.08.2010)
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