URTEIL DES
GERICHTSHOFS (Große Kammer)
18. Oktober 2011(*)
„Richtlinie 98/44/EG – Art. 6 Abs. 2 Buchst. c – Rechtlicher Schutz
biotechnologischer Erfindungen – Gewinnung von Vorläuferzellen aus
menschlichen embryonalen Stammzellen – Patentierbarkeit – Ausschluss der
‚Verwendung von menschlichen Embryonen zu industriellen oder kommerziellen
Zwecken‘ – Begriffe ‚menschlicher Embryo‘ und ‚Verwendung zu industriellen
oder kommerziellen Zwecken‘“
In der Rechtssache C‑34/10
betreffend ein
Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom
Bundesgerichtshof (Deutschland) mit Beschluss vom 17. Dezember 2009, beim
Gerichtshof eingegangen am 21. Januar 2010, in dem Verfahren
Oliver Brüstle
gegen
Greenpeace e.V.
erlässt
DER GERICHTSHOF (Große Kammer)
unter Mitwirkung des
Präsidenten V. Skouris, der Kammerpräsidenten A. Tizzano, J. N. Cunha
Rodrigues, K. Lenaerts, J.‑C. Bonichot, M. Safjan (Berichterstatter), der
Kammerpräsidentin A. Prechal, des Richters A. Rosas, der Richterin R. Silva
de Lapuerta, der Richter K. Schiemann und D. Šváby, der Richterin M. Berger
sowie des Richters E. Jarašiūnas,
Generalanwalt: Y. Bot,
Kanzler: B. Fülöp,
Verwaltungsrat,
aufgrund des schriftlichen
Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 12. Januar 2011,
unter Berücksichtigung der
Erklärungen
– von Oliver Brüstle,
vertreten durch Rechtsanwalt F.‑W. Engel, Patentanwalt M. Grund und
Patentanwältin C. Sattler de Sousa e Brito,
– von Greenpeace e.V.,
vertreten durch V. Vorwerk, Patentanwalt R. Schnekenbühl und den
Sachverständigen C. Then,
– von Irland, vertreten
durch G. Durcan als Bevollmächtigten,
– der portugiesischen
Regierung, vertreten durch L. Inez Fernandes als Bevollmächtigten,
– der schwedischen
Regierung, vertreten durch A. Falk und A. Engman als Bevollmächtigte,
– der Regierung des
Vereinigten Königreichs, vertreten durch F. Penlington und C. Murrell als
Bevollmächtigte im Beistand von C. May, Barrister,
– der Europäischen
Kommission, vertreten durch F. W. Bulst und H. Krämer als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der
Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 10. März 2011
folgendes
Urteil
1 Das
Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Richtlinie 98/44/EG
des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6. Juli 1998 über den
rechtlichen Schutz biotechnologischer Erfindungen (ABl. L 213, S. 13, im
Folgenden: Richtlinie).
2 Dieses
Ersuchen ergeht im Rahmen eines von Greenpeace e.V. eingeleiteten Verfahrens
zur Nichtigerklärung eines für Herrn Brüstle eingetragenen deutschen
Patents, das neurale Vorläuferzellen und Verfahren zu ihrer Herstellung aus
embryonalen Stammzellen sowie ihre Verwendung zu therapeutischen Zwecken
betrifft.
Rechtlicher Rahmen
Die Europäische Union und/oder
die Mitgliedstaaten bindende Übereinkommen
3 Art. 27
des Übereinkommens über handelsbezogene Aspekte der Rechte am geistigen
Eigentum, wiedergegeben im Anhang 1 C des Übereinkommens zur Errichtung der
Welthandelsorganisation (WTO), unterzeichnet am 15. April 1994 in Marrakesch
und angenommen durch den Beschluss 94/800/EG des Rates vom 22. Dezember 1994
über den Abschluss der Übereinkünfte im Rahmen der multilateralen
Verhandlungen der Uruguay-Runde (1986–1994) im Namen der Europäischen
Gemeinschaft in Bezug auf die in ihre Zuständigkeiten fallenden Bereiche (ABl.
L 336, S. 1), bestimmt:
„(1) Vorbehaltlich der
Absätze 2 und 3 ist vorzusehen, dass Patente für Erfindungen auf allen
Gebieten der Technik erhältlich sind, sowohl für Erzeugnisse als auch für
Verfahren, vorausgesetzt, dass sie neu sind, auf einer erfinderischen
Tätigkeit beruhen und gewerblich anwendbar sind. Vorbehaltlich des Artikels
65 Absatz 4, des Artikels 70 Absatz 8 und des Absatzes 3 dieses Artikels
sind Patente erhältlich und können Patentrechte ausgeübt werden, ohne dass
hinsichtlich des Ortes der Erfindung, des Gebiets der Technik oder danach,
ob die Erzeugnisse eingeführt oder im Land hergestellt werden, diskriminiert
werden darf.
(2) Die Mitglieder können
Erfindungen von der Patentierbarkeit ausschließen, wenn die Verhinderung
ihrer gewerblichen Verwertung innerhalb ihres Hoheitsgebiets zum Schutz der
öffentlichen Ordnung oder der guten Sitten einschließlich des Schutzes des
Lebens oder der Gesundheit von Menschen, Tieren oder Pflanzen oder zur
Vermeidung einer ernsten Schädigung der Umwelt notwendig ist, vorausgesetzt,
dass ein solcher Ausschluss nicht nur deshalb vorgenommen wird, weil die
Verwertung durch ihr Recht verboten ist.“
4 Art. 52
Abs. 1 des am 5. Oktober 1973 in München unterzeichneten Übereinkommens über
die Erteilung europäischer Patente (im Folgenden: EPÜ), an dem die Union
nicht beteiligt ist, das aber von den Mitgliedstaaten unterzeichnet wurde,
lautet:
„Europäische Patente werden
für Erfindungen auf allen Gebieten der Technik erteilt, sofern sie neu sind,
auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhen und gewerblich anwendbar sind.“
5 Art. 53
EPÜ bestimmt:
„Europäische Patente werden
nicht erteilt für:
a) Erfindungen,
deren gewerbliche Verwertung gegen die öffentliche Ordnung oder die guten
Sitten verstoßen würde; ein solcher Verstoß kann nicht allein daraus
hergeleitet werden, dass die Verwertung in allen oder einigen
Vertragsstaaten durch Gesetz oder Verwaltungsvorschrift verboten ist.
…“
Unionsrechtliche Vorschriften
6 In
der Begründung der Richtlinie heißt es:
„…
(2) Die
erforderlichen Investitionen zur Forschung und Entwicklung sind insbesondere
im Bereich der Gentechnik hoch und risikoreich und können nur bei
angemessenem Rechtsschutz rentabel sein.
(3) Ein wirksamer
und harmonisierter Schutz in allen Mitgliedstaaten ist wesentliche
Voraussetzung dafür, dass Investitionen auf dem Gebiet der Biotechnologie
fortgeführt und gefördert werden.
…
(5) In den
Rechtsvorschriften und Praktiken der verschiedenen Mitgliedstaaten auf dem
Gebiet des Schutzes biotechnologischer Erfindungen bestehen Unterschiede,
die zu Handelsschranken führen und so das Funktionieren des Binnenmarkts
behindern können.
(6) Diese
Unterschiede könnten sich dadurch noch vergrößern, dass die Mitgliedstaaten
neue und unterschiedliche Rechtsvorschriften und Verwaltungspraktiken
einführen oder dass die Rechtsprechung der einzelnen Mitgliedstaaten sich
unterschiedlich entwickelt.
(7) Eine
uneinheitliche Entwicklung der Rechtsvorschriften zum Schutz
biotechnologischer Erfindungen in der Gemeinschaft könnte zusätzliche
ungünstige Auswirkungen auf den Handel haben und damit zu Nachteilen bei der
industriellen Entwicklung der betreffenden Erfindungen sowie zur
Beeinträchtigung des reibungslosen Funktionierens des Binnenmarkts führen.
…
(14) Ein Patent
berechtigt seinen Inhaber nicht, die Erfindung anzuwenden, sondern verleiht
ihm lediglich das Recht, Dritten deren Verwertung zu industriellen und
gewerblichen Zwecken zu untersagen. Infolgedessen kann das Patentrecht die
nationalen, europäischen oder internationalen Rechtsvorschriften zur
Festlegung von Beschränkungen oder Verboten oder zur Kontrolle der Forschung
und der Anwendung oder Vermarktung ihrer Ergebnisse weder ersetzen noch
überflüssig machen, insbesondere was die Erfordernisse der Volksgesundheit,
der Sicherheit, des Umweltschutzes, des Tierschutzes, der Erhaltung der
genetischen Vielfalt und die Beachtung bestimmter ethischer Normen betrifft.
…
(16) Das
Patentrecht muss unter Wahrung der Grundprinzipien ausgeübt werden, die die
Würde und die Unversehrtheit des Menschen gewährleisten. Es ist wichtig, den
Grundsatz zu bekräftigen, wonach der menschliche Körper in allen Phasen
seiner Entstehung und Entwicklung, einschließlich der Keimzellen, sowie die
bloße Entdeckung eines seiner Bestandteile oder seiner Produkte,
einschließlich der Sequenz oder Teilsequenz eines menschlichen Gens, nicht
patentierbar sind. Diese Prinzipien stehen im Einklang mit den im
Patentrecht vorgesehenen Patentierbarkeitskriterien, wonach eine bloße
Entdeckung nicht Gegenstand eines Patents sein kann.
(17) Mit
Arzneimitteln, die aus isolierten Bestandteilen des menschlichen Körpers
gewonnen und/oder auf andere Weise hergestellt werden, konnten bereits
entscheidende Fortschritte bei der Behandlung von Krankheiten erzielt
werden. Diese Arzneimittel sind das Ergebnis technischer Verfahren zur
Herstellung von Bestandteilen mit einem ähnlichen Aufbau wie die im
menschlichen Körper vorhandenen natürlichen Bestandteile; es empfiehlt sich
deshalb, mit Hilfe des Patentsystems die Forschung mit dem Ziel der
Gewinnung und Isolierung solcher für die Arzneimittelherstellung wertvoller
Bestandteile zu fördern.
…
(20) Infolgedessen
ist darauf hinzuweisen, dass eine Erfindung, die einen isolierten
Bestandteil des menschlichen Körpers oder einen auf eine andere Weise durch
ein technisches Verfahren erzeugten Bestandteil betrifft und gewerblich
anwendbar ist, nicht von der Patentierbarkeit ausgeschlossen ist, selbst
wenn der Aufbau dieses Bestandteils mit dem eines natürlichen Bestandteils
identisch ist, wobei sich die Rechte aus dem Patent nicht auf den
menschlichen Körper und dessen Bestandteile in seiner natürlichen Umgebung
erstrecken können.
(21) Ein solcher
isolierter oder auf andere Weise erzeugter Bestandteil des menschlichen
Körpers ist von der Patentierbarkeit nicht ausgeschlossen, da er – zum
Beispiel – das Ergebnis technischer Verfahren zu seiner Identifizierung,
Reinigung, Bestimmung und Vermehrung außerhalb des menschlichen Körpers ist,
zu deren Anwendung nur der Mensch fähig ist und die die Natur selbst nicht
vollbringen kann.
…
(37) Der
Grundsatz, wonach Erfindungen, deren gewerbliche Verwertung gegen die
öffentliche Ordnung oder die guten Sitten verstoßen würde, von der
Patentierbarkeit auszuschließen sind, ist auch in dieser Richtlinie
hervorzuheben.
(38) Ferner ist es
wichtig, in die Vorschriften der vorliegenden Richtlinie eine
informatorische Aufzählung der von der Patentierbarkeit ausgenommenen
Erfindungen aufzunehmen, um so den nationalen Gerichten und Patentämtern
allgemeine Leitlinien für die Auslegung der Bezugnahme auf die öffentliche
Ordnung oder die guten Sitten zu geben. Diese Aufzählung ist
selbstverständlich nicht erschöpfend. Verfahren, deren Anwendung gegen die
Menschenwürde verstößt, wie etwa Verfahren zur Herstellung von hybriden
Lebewesen, die aus Keimzellen oder totipotenten Zellen von Mensch und Tier
entstehen, sind natürlich ebenfalls von der Patentierbarkeit auszunehmen.
(39) Die
öffentliche Ordnung und die guten Sitten entsprechen insbesondere den in den
Mitgliedstaaten anerkannten ethischen oder moralischen Grundsätzen, deren
Beachtung ganz besonders auf dem Gebiet der Biotechnologie wegen der
potenziellen Tragweite der Erfindungen in diesem Bereich und deren
inhärenter Beziehung zur lebenden Materie geboten ist. Diese ethischen oder
moralischen Grundsätze ergänzen die übliche patentrechtliche Prüfung,
unabhängig vom technischen Gebiet der Erfindung.
…
(42) Ferner ist
auch die Verwendung von menschlichen Embryonen zu industriellen oder
kommerziellen Zwecken von der Patentierbarkeit auszuschließen. Dies gilt
jedoch auf keinen Fall für Erfindungen, die therapeutische oder
diagnostische Zwecke verfolgen und auf den menschlichen Embryo zu dessen
Nutzen angewandt werden.
(43) Nach Artikel
F Absatz 2 des Vertrags über die Europäische Union achtet die Union die
Grundrechte, wie sie in der am 4. November 1950 in Rom unterzeichneten
Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten
gewährleistet sind und wie sie sich aus den gemeinsamen
Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten als allgemeine Grundsätze des
Gemeinschaftsrechts ergeben.
…“
7 Die
Richtlinie bestimmt:
„Artikel 1
(1) Die Mitgliedstaaten
schützen biotechnologische Erfindungen durch das nationale Patentrecht. Sie
passen ihr nationales Patentrecht erforderlichenfalls an, um den
Bestimmungen dieser Richtlinie Rechnung zu tragen.
(2) Die Verpflichtungen
der Mitgliedstaaten aus internationalen Übereinkommen, insbesondere aus dem
TRIPS-Übereinkommen und dem Übereinkommen über die biologische Vielfalt,
werden von dieser Richtlinie nicht berührt.
…
Artikel 3
(1) Im Sinne dieser
Richtlinie können Erfindungen, die neu sind, auf einer erfinderischen
Tätigkeit beruhen und gewerblich anwendbar sind, auch dann patentiert
werden, wenn sie ein Erzeugnis, das aus biologischem Material besteht oder
dieses enthält, oder ein Verfahren, mit dem biologisches Material
hergestellt, bearbeitet oder verwendet wird, zum Gegenstand haben.
(2) Biologisches
Material, das mit Hilfe eines technischen Verfahrens aus seiner natürlichen
Umgebung isoliert oder hergestellt wird, kann auch dann Gegenstand einer
Erfindung sein, wenn es in der Natur schon vorhanden war.
…
Artikel 5
(1) Der menschliche
Körper in den einzelnen Phasen seiner Entstehung und Entwicklung sowie die
bloße Entdeckung eines seiner Bestandteile, einschließlich der Sequenz oder
Teilsequenz eines Gens, können keine patentierbaren Erfindungen darstellen.
(2) Ein isolierter
Bestandteil des menschlichen Körpers oder ein auf andere Weise durch ein
technisches Verfahren gewonnener Bestandteil, einschließlich der Sequenz
oder Teilsequenz eines Gens, kann eine patentierbare Erfindung sein, selbst
wenn der Aufbau dieses Bestandteils mit dem Aufbau eines natürlichen
Bestandteils identisch ist.
…
Artikel 6
(1) Erfindungen, deren
gewerbliche Verwertung gegen die öffentliche Ordnung oder die guten Sitten
verstoßen würde, sind von der Patentierbarkeit ausgenommen[;] dieser Verstoß
kann nicht allein daraus hergeleitet werden, dass die Verwertung durch
Rechts- oder Verwaltungsvorschriften verboten ist.
(2) Im Sinne von Absatz 1
gelten unter anderem als nicht patentierbar:
…
c) die Verwendung
von menschlichen Embryonen zu industriellen oder kommerziellen Zwecken;
…“
Nationales Recht
8 § 2
des Patentgesetzes in seiner zur Umsetzung von Art. 6 der Richtlinie
geänderten Fassung (BGBl. 2005 I S. 2521, im Folgenden: PatG) lautet:
„(1) Für Erfindungen,
deren gewerbliche Verwertung gegen die öffentliche Ordnung oder die guten
Sitten verstoßen würde, werden keine Patente erteilt; ein solcher Verstoß
kann nicht allein aus der Tatsache hergeleitet werden, dass die Verwertung
durch Gesetz oder Verwaltungsvorschrift verboten ist.
(2) Insbesondere werden
Patente nicht erteilt für
…
3. die Verwendung
von menschlichen Embryonen zu industriellen oder kommerziellen Zwecken;
…
Bei der Anwendung der Nummern
1 bis 3 sind die entsprechenden Vorschriften des Embryonenschutzgesetzes
[vom 13. Dezember 1990, im Folgenden: ESchG] maßgeblich.“
9 § 21
PatG bestimmt:
„(1) Das Patent wird
widerrufen (§ 61), wenn sich ergibt, dass
1. der Gegenstand
des Patents nach den §§ 1 bis 5 nicht patentfähig ist,
…“
10 § 22
Abs. 1 PatG lautet:
„Das Patent wird auf Antrag
(§ 81) für nichtig erklärt, wenn sich ergibt, dass einer der in § 21 Abs. 1
aufgezählten Gründe vorliegt oder der Schutzbereich des Patents erweitert
worden ist.“
11 Gemäß
§ 1 Abs. 1 Nr. 2 und § 2 Abs. 1 und 2 ESchG sind die künstliche Befruchtung
einer Eizelle zu einem anderen Zweck als dem, eine Schwangerschaft der Frau
herbeizuführen, von der die Eizelle stammt, die Veräußerung von
extrakorporal erzeugten oder einer Frau vor Abschluss ihrer Einnistung in
der Gebärmutter entnommenen menschlichen Embryonen oder deren Abgabe, Erwerb
oder Verwendung zu einem nicht ihrer Erhaltung dienenden Zweck sowie die
extrakorporale Weiterentwicklung menschlicher Embryonen zu einem anderen
Zweck als der Herbeiführung einer Schwangerschaft mit Strafe bedroht.
12 Als
menschlicher Embryo im Sinne des § 8 ESchG gilt die befruchtete,
entwicklungsfähige menschliche Eizelle vom Zeitpunkt der Kernverschmelzung
an und ferner jede einem Embryo entnommene, sogenannte totipotente Zelle,
die sich bei Vorliegen der dafür erforderlichen weiteren Voraussetzungen zu
teilen und zu einem Individuum zu entwickeln vermag. Hiervon zu
unterscheiden sind pluripotente Zellen, d. h. Stammzellen, die sich zwar zu
jedem beliebigen Zelltyp weiterentwickeln können, nicht aber zu einem
vollständigen Individuum.
13 § 4
des Gesetzes zur Sicherstellung des Embryonenschutzes im Zusammenhang mit
Einfuhr und Verwendung menschlicher embryonaler Stammzellen vom 28. Mai 2002
(BGBl. I S. 2277, im Folgenden: StZG) lautet:
„(1) Die Einfuhr und die
Verwendung embryonaler Stammzellen ist verboten.
(2) Abweichend von Absatz
1 sind die Einfuhr und die Verwendung embryonaler Stammzellen zu
Forschungszwecken unter den in § 6 genannten Voraussetzungen zulässig, wenn
1. zur Überzeugung der
Genehmigungsbehörde feststeht, dass
a) die embryonalen
Stammzellen in Übereinstimmung mit der Rechtslage im Herkunftsland dort vor
dem 1. Mai 2007 gewonnen wurden und in Kultur gehalten werden oder im
Anschluss daran kryokonserviert gelagert werden (embryonale
Stammzell-Linie),
b) die Embryonen,
aus denen sie gewonnen wurden, im Wege der medizinisch unterstützten
extrakorporalen Befruchtung zum Zwecke der Herbeiführung einer
Schwangerschaft erzeugt worden sind, sie endgültig nicht mehr für diesen
Zweck verwendet wurden und keine Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass dies
aus Gründen erfolgte, die an den Embryonen selbst liegen,
c) für die
Überlassung der Embryonen zur Stammzellgewinnung kein Entgelt oder sonstiger
geldwerter Vorteil gewährt oder versprochen wurde und
2. der Einfuhr oder
Verwendung der embryonalen Stammzellen sonstige gesetzliche Vorschriften,
insbesondere solche des [ESchG], nicht entgegenstehen.
(3) Die Genehmigung ist
zu versagen, wenn die Gewinnung der embryonalen Stammzellen offensichtlich
im Widerspruch zu tragenden Grundsätzen der deutschen Rechtsordnung erfolgt
ist. Die Versagung kann nicht damit begründet werden, dass die Stammzellen
aus menschlichen Embryonen gewonnen wurden.“
14 Gemäß
§ 5 StZG dürfen
„Forschungsarbeiten an
embryonalen Stammzellen … nur durchgeführt werden, wenn wissenschaftlich
begründet dargelegt ist, dass
1. sie hochrangigen
Forschungszielen für den wissenschaftlichen Erkenntnisgewinn im Rahmen der
Grundlagenforschung oder für die Erweiterung medizinischer Kenntnisse bei
der Entwicklung diagnostischer, präventiver oder therapeutischer Verfahren
zur Anwendung bei Menschen dienen …“.
Ausgangsverfahren und
Vorlagefragen
15 Herr
Brüstle ist Inhaber eines am 19. Dezember 1997 angemeldeten deutschen
Patents, das isolierte und gereinigte neurale Vorläuferzellen, Verfahren zu
ihrer Herstellung aus embryonalen Stammzellen und ihre Verwendung zur
Therapie von neuralen Defekten betrifft.
16 Der
von Herrn Brüstle eingereichten Patentschrift zufolge ist die
Transplantation von Hirnzellen in das Nervensystem eine Erfolg versprechende
Methode zur Behandlung zahlreicher neurologischer Erkrankungen. Es gebe
bereits erste klinische Anwendungen, u. a. bei Patienten, die an Parkinson
erkrankt seien.
17 Um
neurale Defekte beheben zu können, sei nämlich die Transplantation von noch
entwicklungsfähigen Vorläuferzellen notwendig, die jedoch im Wesentlichen
nur während der Entwicklung des Gehirns vorhanden seien. Auf das
Gehirngewebe menschlicher Embryonen zurückzugreifen, sei mit erheblichen
ethischen Problemen verbunden und könne nicht den Bedarf an Vorläuferzellen
decken, der für die Ermöglichung einer allgemein zugänglichen
zelltherapeutischen Behandlung erforderlich sei.
18 Die
embryonalen Stammzellen böten hingegen neue Perspektiven für die Herstellung
von Zellen für Transplantationszwecke. Da sie pluripotent seien, könnten sie
in alle Zell‑ und Gewebetypen ausdifferenzieren, und sie ließen sich über
viele Passagen in ihrem pluripotenten Zustand halten und vermehren. Das
Streitpatent ziele vor diesem Hintergrund auf die Lösung des technischen
Problems ab, aus embryonalen Stammzellen gewonnene isolierte und gereinigte
Vorläuferzellen mit neuronalen oder glialen Eigenschaften in praktisch
unbegrenzter Menge herzustellen.
19 Auf
Klage von Greenpeace e.V. hat das Bundespatentgericht gestützt auf § 22
Abs. 1 PatG das Streitpatent für nichtig erklärt, soweit es Vorläuferzellen,
die aus menschlichen embryonalen Stammzellen gewonnen werden, und die
Verfahren zu ihrer Herstellung umfasst. Der Beklagte hat gegen das Urteil
beim Bundesgerichtshof Berufung eingelegt.
20 Für
das vorlegende Gericht hängt die Entscheidung über die Berufung von der
Frage ab, ob die technische Lehre des Streitpatents, soweit sie aus
menschlichen embryonalen Stammzellen gewonnene Vorläuferzellen betrifft,
gemäß § 2 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 PatG von der Patentierung ausgeschlossen ist.
Die Antwort auf diese Frage hänge wiederum davon ab, wie Art. 6 Abs. 2
Buchst. c der Richtlinie auszulegen sei.
21 Nach
Auffassung des vorlegenden Gerichts kann nämlich, da Art. 6 Abs. 2 der
Richtlinie den Mitgliedstaaten keinen Beurteilungsspielraum lasse, was die
Nichtpatentierbarkeit der dort aufgeführten Verfahren und Verwendungen
anbelange (vgl. Urteile des Gerichtshofs vom 9. Oktober 2001,
Niederlande/Parlament und Rat, C‑377/98, Slg. 2001, I‑7079, Randnr. 39, und
vom 16. Juni 2005, Kommission/Italien, C‑456/03, Slg. 2005, I‑5335, Randnrn.
78 ff.), aus der in § 2 Abs. 2 Satz 2 PatG enthaltenen Bezugnahme auf das
ESchG, insbesondere auf die in dessen § 8 Abs. 1 gegebene Definition des
Embryos, nicht abgeleitet werden, dass die Ausfüllung von Art. 6 Abs. 2
Buchst. c der Richtlinie insoweit den Mitgliedstaaten überlassen werden
solle, obwohl die Richtlinie den Embryonenbegriff nicht ausdrücklich
definiere. Dieser Begriff könne nur einheitlich für die gesamte Union
ausgelegt werden. § 2 Abs. 2 Satz 2 PatG und insbesondere der von ihm
verwendete Embryonenbegriff könne, in anderen Worten, nicht anders ausgelegt
werden als der entsprechende Begriff in Art. 6 Abs. 2 Buchst. c der
Richtlinie.
22 In
Anbetracht dessen möchte das vorlegende Gericht u. a. feststellen, ob die
als Ausgangsmaterial für die patentierten Verfahren eingesetzten
menschlichen embryonalen Stammzellen als „Embryonen“ im Sinne des Art. 6
Abs. 2 Buchst. c der Richtlinie anzusehen sind und ob die Organismen, aus
denen diese menschlichen embryonalen Stammzellen gewonnen werden können,
„menschliche Embryonen“ im Sinne dieses Artikels darstellen. Hierzu merkt es
an, dass es sich nicht bei allen menschlichen embryonalen Stammzellen, die
als Ausgangsmaterial für die patentierten Verfahren eingesetzt würden, um
totipotente Zellen handele, sondern einige lediglich pluripotente, aus
Embryonen im Entwicklungsstadium der Blastozyste gewonnene Zellen seien. Es
stellt sich zudem die Frage nach der Einordnung der Blastozysten, aus denen
ebenfalls menschliche embryonale Stammzellen gewonnen werden können, im
Hinblick auf den Begriff des Embryos.
23 Unter
diesen Umständen hat der Bundesgerichtshof beschlossen, das Verfahren
auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung
vorzulegen:
1. Was ist unter
dem Begriff „menschliche Embryonen“ in Art. 6 Abs. 2 Buchst. c der
Richtlinie 98/44 zu verstehen?
a) Sind alle
Entwicklungsstadien menschlichen Lebens von der Befruchtung der Eizelle an
umfasst, oder müssen zusätzliche Voraussetzungen wie z. B. das Erreichen
eines bestimmten Entwicklungsstadiums erfüllt sein?
b) Sind auch
folgende Organismen umfasst:
(1) unbefruchtete
menschliche Eizellen, in die ein Zellkern aus einer ausgereiften
menschlichen Zelle transplantiert worden ist;
(2) unbefruchtete
menschliche Eizellen, die im Wege der Parthenogenese zur Teilung und
Weiterentwicklung angeregt worden sind?
c) Sind auch
Stammzellen umfasst, die aus menschlichen Embryonen im Blastozystenstadium
gewonnen worden sind?
2. Was ist unter
dem Begriff „Verwendung von menschlichen Embryonen zu industriellen oder
kommerziellen Zwecken“ zu verstehen? Fällt hierunter jede gewerbliche
Verwertung im Sinne des Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie, insbesondere auch eine
Verwendung zu Zwecken der wissenschaftlichen Forschung?
3. Ist eine
technische Lehre auch dann gemäß Art. 6 Abs. 2 Buchst. c der Richtlinie von
der Patentierung ausgeschlossen, wenn die Verwendung menschlicher Embryonen
nicht zu der mit dem Patent beanspruchten technischen Lehre gehört, aber
notwendige Voraussetzung für die Anwendung dieser Lehre ist,
a) weil das Patent
ein Erzeugnis betrifft, dessen Herstellung die vorhergehende Zerstörung
menschlicher Embryonen erfordert,
b) oder weil das
Patent ein Verfahren betrifft, für das als Ausgangsmaterial ein solches
Erzeugnis benötigt wird?
Zu den Vorlagefragen
Zur ersten Frage
24 Mit
seiner ersten Frage ersucht das vorlegende Gericht den Gerichtshof um
Auslegung des Begriffs des menschlichen Embryos im Sinne und für die
Anwendung von Art. 6 Abs. 2 Buchst. c der Richtlinie, d. h. einzig und
allein, um festzustellen, wie weit das in dieser Bestimmung vorgesehene
Patentierungsverbot reicht.
25 Nach
ständiger Rechtsprechung folgt aus den Erfordernissen sowohl der
einheitlichen Anwendung des Unionsrechts als auch des Gleichheitssatzes,
dass die Begriffe einer Vorschrift des Unionsrechts, die für die Ermittlung
ihres Sinnes und ihrer Bedeutung nicht ausdrücklich auf das Recht der
Mitgliedstaaten verweist, in der Regel in der gesamten Union eine autonome
und einheitliche Auslegung erhalten müssen (vgl. u. a. Urteile vom 18.
Januar 1984, Ekro, 327/82, Slg. 1984, 107, Randnr. 11, vom 19. September
2000, Linster, C‑287/98, Slg. 2000, I‑6917, Randnr. 43, vom 16. Juli 2009,
Infopaq International, C‑5/08, Slg. 2009, I‑6569, Randnr. 27, und vom 21.
Oktober 2010, Padawan, C‑467/08, noch nicht in der amtlichen Sammlung
veröffentlicht, Randnr. 32).
26 Die
Richtlinie enthält zwar keine Definition des „menschlichen Embryos“, doch
verweist sie in Bezug auf die Bedeutung dieses Ausdrucks auch nicht auf die
nationalen Rechtsvorschriften. Der Ausdruck ist daher für die Anwendung der
Richtlinie als autonomer Begriff des Unionsrechts anzusehen, der im gesamten
Gebiet der Union einheitlich auszulegen ist.
27 Dieser
Schluss wird durch Gegenstand und Ziel der Richtlinie untermauert. Aus ihren
Erwägungsgründen 3 und 5 bis 7 geht nämlich hervor, dass sie durch eine
Harmonisierung der Regeln zum Schutz biotechnologischer Erfindungen die
Hindernisse für den Handel und das reibungslose Funktionieren des
Binnenmarkts in Form der Unterschiede in den Rechtsvorschriften und in der
Rechtsprechung zwischen den Mitgliedstaaten abbauen und dadurch Forschung
und industrielle Entwicklung im Bereich der Gentechnik fördern soll (vgl. in
diesem Sinne Urteil Niederlande/Parlament und Rat, Randnrn. 16 und 27).
28 Ohne
eine einheitliche Definition des Begriffs des menschlichen Embryos bestünde
die Gefahr, dass die Urheber bestimmter biotechnologischer Erfindungen
versucht wären, deren Patentierung in denjenigen Mitgliedstaaten zu
beantragen, die die engste Konzeption des Begriffs des menschlichen Embryos
haben und somit in Bezug auf die Möglichkeiten der Patentierung am
großzügigsten sind, weil die Patentierung dieser Erfindungen in den anderen
Mitgliedstaaten ausgeschlossen wäre. Eine solche Situation würde das mit der
Richtlinie bezweckte reibungslose Funktionieren des Binnenmarkts
beeinträchtigen.
29 Dieses
Ergebnis wird zudem gestützt durch die Tragweite der Aufzählung der von der
Patentierung ausgeschlossenen Verfahren und Verwendungen in Art. 6 Abs. 2
der Richtlinie. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs lässt nämlich
anders als Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie, der den Behörden und Gerichten der
Mitgliedstaaten einen weiten Spielraum für den Ausschluss der
Patentierbarkeit derjenigen Erfindungen belässt, deren gewerbliche
Verwertung gegen die öffentliche Ordnung oder die guten Sitten verstoßen
würde, Art. 6 Abs. 2 keinen Spielraum, was die Nichtpatentierbarkeit der
Verfahren und Verwendungen anbelangt, die dort aufgeführt sind, weil diese
Bestimmung gerade darauf abzielt, die im ersten Absatz vorgesehenen
Ausnahmen einzugrenzen. Daraus folgt, dass Art. 6 Abs. 2 der Richtlinie,
indem er ausdrücklich die Patentierbarkeit der dort genannten Verfahren und
Verwendungen ausschließt, genau bestimmte Rechte in dieser Hinsicht
verleihen soll (vgl. Urteil Kommission/Italien, Randnrn. 78 und 79).
30 Was
die Bedeutung angeht, die dem Begriff des menschlichen Embryos in Art. 6
Abs. 2 Buchst. c der Richtlinie zukommt, ist hervorzuheben, dass es sich bei
der Definition des menschlichen Embryos zwar um ein Thema handelt, das in
vielen Mitgliedstaaten gesellschaftspolitisch sehr sensibel und von deren
unterschiedlichen Traditionen und Werthaltungen geprägt ist, der Gerichtshof
durch das vorliegende Vorabentscheidungsersuchen aber nicht dazu aufgerufen
ist, auf Fragen medizinischer oder ethischer Natur einzugehen, sondern sich
darauf zu beschränken hat, die einschlägigen Vorschriften der Richtlinie
juristisch auszulegen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 26. Februar 2008,
Mayr, C‑506/06, Slg. 2008, I‑1017, Randnr. 38).
31 Sodann
ist zu beachten, dass Bedeutung und Tragweite von Begriffen, die das Recht
der Union nicht definiert, insbesondere unter Berücksichtigung des
Zusammenhangs, in dem sie verwendet werden, und der Ziele der Regelung, zu
der sie gehören, zu bestimmen sind (vgl. in diesem Sinne u. a. Urteile vom
10. März 2005, easyCar, C‑336/03, Slg. 2005, I‑1947, Randnr. 21, vom 22.
Dezember 2008, Wallentin‑Hermann, C‑549/07, Slg. 2008, I‑11061, Randnr. 17,
und vom 29. Juli 2010, UGT‑FSP, C‑151/09, noch nicht in der amtlichen
Sammlung veröffentlicht, Randnr. 39).
32 Insoweit
ist der Begründung der Richtlinie zu entnehmen, dass diese zwar
Investitionen auf dem Gebiet der Biotechnologie fördern soll, bei der
Verwertung biologischen Materials aber die Grundrechte und vor allem die
Menschenwürde gewahrt werden müssen. Insbesondere unterstreicht der
16. Erwägungsgrund der Richtlinie, dass das „Patentrecht … unter Wahrung der
Grundprinzipien ausgeübt werden [muss], die die Würde und die Unversehrtheit
des Menschen gewährleisten“.
33 In
diesem Zusammenhang hat der Gerichtshof bereits festgestellt, dass nach
Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie der menschliche Körper in den einzelnen Phasen
seiner Entstehung und Entwicklung keine patentierbare Erfindung darstellen
kann. Zusätzliche Sicherheit bietet Art. 6 der Richtlinie, wonach Verfahren
zum Klonen von menschlichen Lebewesen, Verfahren zur Veränderung der
genetischen Identität der Keimbahn des menschlichen Lebewesens und die
Verwendung von menschlichen Embryonen zu industriellen oder kommerziellen
Zwecken als Verstoß gegen die öffentliche Ordnung oder die guten Sitten und
daher als nicht patentierbar gelten. Der 38. Erwägungsgrund stellt klar,
dass diese Aufzählung nicht abschließend ist und dass alle Verfahren, deren
Anwendung gegen die Menschenwürde verstößt, ebenfalls von der
Patentierbarkeit auszunehmen sind (vgl. Urteil Niederlande/Parlament und
Rat, Randnrn. 71 und 76).
34 Der
Zusammenhang und das Ziel der Richtlinie lassen somit erkennen, dass der
Unionsgesetzgeber jede Möglichkeit der Patentierung ausschließen wollte,
sobald die der Menschenwürde geschuldete Achtung dadurch beeinträchtigt
werden könnte. Daraus folgt, dass der Begriff des menschlichen Embryos im
Sinne von Art. 6 Abs. 2 Buchst. c der Richtlinie weit auszulegen ist.
35 Insofern
ist jede menschliche Eizelle vom Stadium ihrer Befruchtung an als
„menschlicher Embryo“ im Sinne und für die Anwendung von Art. 6 Abs. 2
Buchst. c der Richtlinie anzusehen, da die Befruchtung geeignet ist, den
Prozess der Entwicklung eines Menschen in Gang zu setzen.
36 Das
Gleiche gilt für die unbefruchtete menschliche Eizelle, in die ein Zellkern
aus einer ausgereiften menschlichen Zelle transplantiert worden ist oder die
durch Parthenogenese zur Teilung und Weiterentwicklung angeregt worden ist.
Selbst wenn diese Organismen, genau genommen, nicht befruchtet worden sind,
sind sie, wie aus den beim Gerichtshof abgegebenen schriftlichen Erklärungen
hervorgeht, infolge der zu ihrer Gewinnung verwendeten Technik geeignet, wie
der durch Befruchtung einer Eizelle entstandene Embryo den Prozess der
Entwicklung eines Menschen in Gang zu setzen.
37 Was
Stammzellen angeht, die von einem menschlichen Embryo im Stadium der
Blastozyste gewonnen werden, ist es Sache des nationalen Gerichts, im Licht
der technischen Entwicklung festzustellen, ob sie geeignet sind, den Prozess
der Entwicklung eines Menschen in Gang zu setzen, und folglich unter den
Begriff des menschlichen Embryos im Sinne und für die Anwendung von Art. 6
Abs. 2 Buchst. c der Richtlinie fallen.
38 Aufgrund
der vorstehenden Erwägungen ist auf die erste Frage wie folgt zu antworten:
– Jede menschliche Eizelle vom Stadium ihrer Befruchtung an, jede
unbefruchtete menschliche Eizelle, in die ein Zellkern aus einer
ausgereiften menschlichen Zelle transplantiert worden ist, und jede
unbefruchtete menschliche Eizelle, die durch Parthenogenese zur Teilung und
Weiterentwicklung angeregt worden ist, ist ein „menschlicher Embryo“ im
Sinne von Art. 6 Abs. 2 Buchst. c der Richtlinie.
– Es ist Sache des
nationalen Gerichts, im Licht der technischen Entwicklung festzustellen, ob
eine Stammzelle, die von einem menschlichen Embryo im Stadium der
Blastozyste gewonnen wird, einen „menschlichen Embryo“ im Sinne von Art. 6
Abs. 2 Buchst. c der Richtlinie darstellt.
Zur zweiten Frage
39 Mit
seiner zweiten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob der Begriff
„Verwendung von menschlichen Embryonen zu industriellen oder kommerziellen
Zwecken“ im Sinne von Art. 6 Abs. 2 Buchst. c der Richtlinie auch die
Verwendung zu Zwecken der wissenschaftlichen Forschung umfasst.
40 Insoweit
ist klarzustellen, dass die Richtlinie nicht zum Gegenstand hat, die
Verwendung menschlicher Embryonen im Rahmen wissenschaftlicher
Untersuchungen zu regeln. Ihr Gegenstand beschränkt sich auf die
Patentierbarkeit biotechnologischer Erfindungen.
41 Da
es also nur darum geht, festzustellen, ob sich der Ausschluss von der
Patentierung, der die Verwendung menschlicher Embryonen zu industriellen
oder kommerziellen Zwecken betrifft, auch auf die Verwendung menschlicher
Embryonen zu Zwecken der wissenschaftlichen Forschung bezieht oder ob
wissenschaftliche Forschung, die die Verwendung menschlicher Embryonen
voraussetzt, patentrechtlichen Schutz erlangen kann, ist zu bemerken, dass
die Erteilung eines Patents für eine Erfindung grundsätzlich ihre
industrielle oder kommerzielle Verwertung einschließt.
42 Diese
Auslegung wird durch den 14. Erwägungsgrund der Richtlinie bestätigt. Da es
dort heißt, dass das Patent seinem Inhaber das Recht verleiht, „Dritten
[die] Verwertung [der Erfindung] zu industriellen und gewerblichen Zwecken
zu untersagen“, gibt er zu erkennen, dass sich die an ein Patent geknüpften
Rechte grundsätzlich auf Handlungen industrieller oder kommerzieller Art
beziehen.
43 Selbst
wenn das Ziel der wissenschaftlichen Forschung von industriellen oder
kommerziellen Zwecken unterschieden werden muss, kann die Verwendung
menschlicher Embryonen zu Forschungszwecken, die Gegenstand der
Patentanmeldung wäre, nicht vom Patent selbst und den daran geknüpften
Rechten getrennt werden.
44 Die
Erläuterung im 42. Erwägungsgrund der Richtlinie, wonach der Ausschluss von
der Patentierung in Art. 6 Abs. 2 Buchst. c der Richtlinie nicht „gilt … für
Erfindungen, die therapeutische oder diagnostische Zwecke verfolgen und auf
den menschlichen Embryo zu dessen Nutzen angewandt werden“, bestätigt
ebenfalls, dass die Verwendung menschlicher Embryonen zur wissenschaftlichen
Forschung, die Gegenstand einer Patentanmeldung ist, nicht von einer
industriellen und kommerziellen Verwertung getrennt werden und dadurch dem
Ausschluss von der Patentierung entgehen kann.
45 Diese
Auslegung deckt sich im Übrigen mit derjenigen der Großen Beschwerdekammer
des Europäischen Patentamts zu Regel 28 c der Ausführungsordnung zum EPÜ,
die den Wortlaut von Art. 6 Abs. 2 Buchst. c der Richtlinie exakt wiedergibt
(vgl. Entscheidung vom 25. November 2008, G 2/06, Amtsblatt EPA, Mai
2009, 306, Nrn. 25 bis 27).
46 Daher ist die zweite Frage dahin zu
beantworten, dass sich der Ausschluss von der Patentierung nach Art. 6
Abs. 2 Buchst. c der Richtlinie, der die Verwendung menschlicher Embryonen
zu industriellen oder kommerziellen Zwecken betrifft, auch auf die
Verwendung zu Zwecken der wissenschaftlichen Forschung bezieht und nur die
Verwendung zu therapeutischen oder diagnostischen Zwecken, die auf den
menschlichen Embryo zu dessen Nutzen anwendbar ist, Gegenstand eines Patents
sein kann.
Zur dritten Frage
47 Mit
seiner dritten Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen,
ob eine Erfindung, obwohl sie selbst nicht die Verwendung menschlicher
Embryonen zum Gegenstand hat, von der Patentierung ausgeschlossen ist, weil
sie ein Erzeugnis betrifft, dessen Herstellung die vorhergehende Zerstörung
menschlicher Embryonen erfordert, oder sich auf ein Verfahren bezieht, für
das ein durch Zerstörung menschlicher Embryonen gewonnenes Ausgangsmaterial
benötigt wird.
48 Die
Frage stellt sich in einem Fall, in dem es um die Patentierbarkeit einer
Erfindung geht, die die Herstellung neuraler Vorläuferzellen betrifft und
die Verwendung von Stammzellen voraussetzt, die aus einem menschlichen
Embryo im Blastozystenstadium gewonnen werden. Den beim Gerichtshof
eingereichten Erklärungen ist zu entnehmen, dass die Entnahme einer
Stammzelle aus einem menschlichen Embryo im Blastozystenstadium die
Zerstörung dieses Embryos nach sich zieht.
49 Aus
denselben Gründen wie denen, die in den Randnrn. 32 bis 35 des vorliegenden
Urteils aufgeführt sind, ist daher eine Erfindung – selbst wenn die
Patentansprüche nicht die Verwendung menschlicher Embryonen betreffen – als
von der Patentierung ausgeschlossen anzusehen, wenn die Verwertung der
Erfindung die Zerstörung menschlicher Embryonen erfordert. Auch in diesem
Fall liegt eine Verwendung menschlicher Embryonen im Sinne von Art. 6 Abs. 2
Buchst. c der Richtlinie vor. Dass diese Zerstörung gegebenenfalls in einem
Stadium erfolgt, das weit vor der Verwertung der Erfindung liegt, wie im
Fall der Herstellung embryonaler Stammzellen aus einer Stammzell‑Linie, die
nur durch die Zerstörung menschlicher Embryonen aufgebaut werden konnte, ist
insoweit ohne Bedeutung.
50 Würde
eine beanspruchte technische Lehre nicht in den Bereich des in Art. 6 Abs. 2
Buchst. c der Richtlinie festgelegten Ausschlusses von der Patentierung
einbezogen, weil die Verwendung menschlicher Embryonen, die deren
vorhergehende Zerstörung voraussetzt, darin nicht erwähnt wird, hätte dies
zur Folge, dass der betreffenden Vorschrift ihre praktische Wirksamkeit
genommen würde, indem es dem Patentanmelder ermöglicht würde, ihre Anwendung
durch eine geschickte Abfassung des Anspruchs zu umgehen.
51 Auch
insoweit ist die Große Beschwerdekammer des Europäischen Patentamts zu
demselben Schluss gelangt, als sie nach der Auslegung von Regel 28 c der
Ausführungsordnung zum EPÜ gefragt wurde, deren Wortlaut mit dem des Art. 6
Abs. 2 Buchst. c der Richtlinie identisch ist (vgl. Entscheidung vom 25.
November 2008, oben in Randnr. 45 angeführt, Randnr. 22).
52 Daher ist auf die dritte Frage zu
antworten, dass eine Erfindung nach Art. 6 Abs. 2 Buchst. c der Richtlinie
von der Patentierung ausgeschlossen ist, wenn die technische Lehre, die
Gegenstand des Patentantrags ist, die vorhergehende Zerstörung menschlicher
Embryonen oder deren Verwendung als Ausgangsmaterial erfordert, in welchem
Stadium auch immer die Zerstörung oder die betreffende Verwendung erfolgt,
selbst wenn in der Beschreibung der beanspruchten technischen Lehre die
Verwendung menschlicher Embryonen nicht erwähnt wird.
Kosten
53 Für
die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in
dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die
Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer
Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht
erstattungsfähig.
Aus diesen Gründen
hat der Gerichtshof (Große Kammer) für Recht erkannt:
1. Art. 6 Abs. 2
Buchst. c der Richtlinie 98/44/EG des Europäischen Parlaments und des Rates
vom 6. Juli 1998 über den rechtlichen Schutz biotechnologischer Erfindungen
ist wie folgt auszulegen:
– Jede
menschliche Eizelle vom Stadium ihrer Befruchtung an, jede unbefruchtete
menschliche Eizelle, in die ein Zellkern aus einer ausgereiften menschlichen
Zelle transplantiert worden ist, und jede unbefruchtete menschliche Eizelle,
die durch Parthenogenese zur Teilung und Weiterentwicklung angeregt worden
ist, ist ein „menschlicher Embryo“.
– Es
ist Sache des nationalen Gerichts, im Licht der technischen Entwicklung
festzustellen, ob eine Stammzelle, die von einem menschlichen Embryo im
Stadium der Blastozyste gewonnen wird, einen „menschlichen Embryo“ im Sinne
von Art. 6 Abs. 2 Buchst. c der Richtlinie 98/44 darstellt.
2. Der Ausschluss von
der Patentierung nach Art. 6 Abs. 2 Buchst. c der Richtlinie 98/44, der die
Verwendung menschlicher Embryonen zu industriellen oder kommerziellen
Zwecken betrifft, bezieht sich auch auf die Verwendung zu Zwecken der
wissenschaftlichen Forschung, und nur die Verwendung zu therapeutischen oder
diagnostischen Zwecken, die auf den menschlichen Embryo zu dessen Nutzen
anwendbar ist, kann Gegenstand eines Patents sein.
3. Eine Erfindung ist
nach Art. 6 Abs. 2 Buchst. c der Richtlinie 98/44 von der Patentierung
ausgeschlossen, wenn die technische Lehre, die Gegenstand des Patentantrags
ist, die vorhergehende Zerstörung menschlicher Embryonen oder deren
Verwendung als Ausgangsmaterial erfordert, in welchem Stadium auch immer die
Zerstörung oder die betreffende Verwendung erfolgt, selbst wenn in der
Beschreibung der beanspruchten technischen Lehre die Verwendung menschlicher
Embryonen nicht erwähnt wird.
Unterschriften
Dokumente über das
Strafverfahren
"Beleidigung von Prof. Dr. Oliver Brüstle"
Institut
für Rekonstuktive Neurobiologie
Life & Brain Center
Sigmund-Freud-Str. 25
D-53127 Bonn
Direktor: Herr Prof.
Dr. Oliver Brüstle
|
|
Zeitdokument
|
Darf der Mensch alles, was er kann?
In der Nazi-Zeit führte der KZ Arzt Josef Mengele
im Vernichtungslager Auschwitz medizinische Forschungsarbeiten
durch. |
|
Ziel seines Handelns und Mordens war eine Habilitation, zu der es aber
nie kam und
auch die Absicht hatte, daß die Gesamtbevölkerung von seinen
Forschungsergebnissen Nutzen haben sollte.
In der demokratischen Bundesrepublik Deutschland führt
Prof. Dr. Oliver Brüstle
in der Universitätsklinik Bonn Forschungsarbeiten
an sogenannten "embryonalen Stammzellen" Forschungsarbeiten durch.
"Embryonale
Stammzellen" werden von ungeborenen Kindern
gewonnen, die vorher ermordet wurden.
Auch Prof. Brüstle
möchte seine Forschungsergebnisse
dem Wohle der Gesamtbevölkerung zur Verfügung stellen.
2003 war sogar Israel für Prof. Oliver Brüstle ein Lieferant von
"embryonalen Stammzellen" gewesen. Diese "embryonalen Stammzellen"
stammten von in Israel ermordeten ungeborenen Kindern, die dann für
viele Euros nach Deutschland verkauft wurden.
Das was der KZ-Arzt Mengele vor 65 Jahren tat, war nach heutiger
Auffassung ein grausames Verbrechen,...keine Frage!
Wie werden aber die Geschichtsschreiber in 65 Jahren
über die heutige Forschungsarbeit von
Prof. Oliver Brüstle urteilen?
Heiligt der Zweck die Mittel
oder
darf
der Mensch alles, was er kann?
Martin Hummer
"Christlich-Soziale Arbeitsgemeinschaft
Österreichs" |
|
Günter Annen
Initiative Nie Wieder! e.V. |
verantwortlich im Sinne des Presserechts (V.i.S.d.P.) |
|
Schriftsatz der Beschwerde
zum EGMR vom 10.01.2011
(hier
als pdf-dok)
Ich danke Herrn
Martin Humer von der "CSA" in Österreich,
daß er durch die Bezahlung der
Geld-Strafe eine 30-tägige Haftstrafe abgewendet hat.
Das
ist erschütternd:
- 65 Jahre nach Auschwitz wird wieder mit "Menschenmaterial"
experimentiert |
-
Meinungsäußerung hierzu wird bestraft |
- Das
Bundesverfassungsgericht nimmt die Verfassungsbeschwerde nicht
an. |
Begründung:
Keine
!!!
(Diese Herren haben noch
Freiheiten und "dürfen" das)
und:
Diese Entscheidung ist unanfechtbar!!!
Frage an die Verfassungs-Richter
der 1. Kammer:
Welches Datum schreiben wir heute? |
entsch
hier als pdf-Dokument
ldg
nach oben
zur Verfassungsbeschwerde |