Lebensschutz auf
der Kippe
Das Europäische Parlament soll über ein Recht auf
Abtreibung abstimmen.
Im Europäischen Parlament tobt derzeit hinter den Kulissen ein verbissener Kampf. Es geht im wahrsten Sinn des Wortes um Leben und Tod, konkret um eine Ausweitung der Möglichkeiten zur Abtreibung in allen Ländern der Europäischen Union. In Irland, Malta und Polen sind Abtreibungen grundsätzlich verboten. In einigen anderen Staaten, darunter in Deutschland, gilt eine eingeschränkte Fristenlösung. Der Ausschuss für Frauenrechte und Geschlechter-Gleichstellung will nun eine Resolution im Europäischen Parlament verabschieden lassen, in der alle 28 Mitgliedsstaaten aufgefordert werden, „aus Erwägungen der Menschenrechte und der öffentlichen Gesundheit hochwertige Dienste im Bereich des Schwangerschaftsabbruchs legal, sicher und für alle Menschen zugänglich“ zu machen. Außerdem soll es eine Bestands- und Finanzierungsgarantie für Abtreibungsorganisationen geben.
Gegen das Vorhaben protestieren mittlerweile zahlreiche Lebensschutzorganisationen. Nach Ansicht der Christdemokraten für das Leben (CDL) geht es in der Entschließung nicht um Gesundheit, sondern um ein „Recht auf Tötung ungeborener Kinder“. Eine Zustimmung zu dem Antrag würde bedeuten, „den Weg zu einer Verletzung der Menschenwürde und des Rechts auf Leben ungeborener Menschen auf breiter Front zu ebnen“.
Der Bundesverband Lebensrecht (Berlin) betrachtet das Vorhaben als Versuch, den Erfolg der europäischen Bürgerinitiative „One of us“ (Einer von uns) zu neutralisieren. Dabei haben sich über 1,3 Millionen Bürger in Europa, darunter 125 000 aus Deutschland, für den Schutz des Lebens ausgesprochen. Der unerwartet große Erfolg der europaweiten Bürgerpetition hat die Anhänger eines Rechts auf Abtreibung offensichtlich aufgeschreckt. Diese Anhänger wollen mit ihrer Resolution noch vor Ablauf der Frist das Recht auf Abtreibung auf die Tagesordnung der Politik in Europa setzen und so die Bürgerpetition unterlaufen. Die Resolution A7-0306/2013 soll unter dem alten Deckmantel „reproduktive Gesundheit“ die Geldmittel der EU für Organisationen, die Abtreibungen durchführen oder fördern, sichern und nach Möglichkeit sogar erhöhen. Diese Geldmittel sind durch die Bürgerinitiative gefährdet. Denn die Bürgerpetition würde die EU-Kommission zwingen, solche Mittel einzufrieren oder sogar umzuwidmen. Es geht um mindestens 144 Millionen Euro. Der Geldfluss für die „Kultur des Todes“ soll gestoppt werden.
Am 22. Oktober soll über die Entschließung abgestimmt werden. Sie ist rechtlich zwar nicht bindend, denn die Abtreibungsgesetzgebung fällt in die Zuständigkeit der Nationalstaaten, nicht der Europäischen Union. Aber sie würde politisch der EU-Kommission als Rechtfertigung dienen, den Willen der Bürgerinitiative „One of us“ zu missachten. Sollte die Resolution allerdings keine Mehrheit finden oder auch erst auf die Tagesordnung des Parlaments kommen, wenn die Petition bereits eingereicht ist, also Ende November, dann würde die Wirkung wohl verpuffen.
Die Bürgerinitiative kann sich auf die Rechtsprechung berufen. Die Große Kammer des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte hatte höchstrichterlich im Fall C-34/10 „Greenpeace vs. Brüstle“ entschieden, dass der Mensch ab der Befruchtung ein Mensch sei, weswegen die Menschenwürde des Embryos durch europäische und internationale Rechtsinstrumente zu schützen sei.
Die Europäische Bürgerinitiative „One of us“ hat zum Ziel, dieses Grundsatzurteil in allen Politikbereichen umzusetzen, bei denen das Leben und die Menschenwürde des menschlichen Embryos auf dem Spiel stehen: Stammzellforschung, Abtreibung, „reproduktive Gesundheit“. Die EU-Kommission, die politisch und juristisch für die Prüfung aller Europäischen Bürgerinitiativen verantwortlich ist, genehmigte dieses Anliegen, möglicherweise in der Einschätzung, dass sie die erforderliche Million an Unterschriften in zehn Staaten nicht erreichen werde.
Mit der Entschließungsvorlage nehmen die Europaparlamentarier nach Einschätzung von „One of us“-Mitarbeiter Tobias Teuscher eine Vertragsverletzung gegenüber den Mitgliedsstaaten in Kauf. Denn die Resolution reihe verschiedene EU-Politikbereiche aneinander und schaffe somit eine künstliche Handlungsgrundlage.
Zu den Bereichen gehören Außenpolitik und Entwicklungshilfe, Freizügigkeitsregeln für Bürger und Dienstleistungen, Grundrechte und Antidiskriminierungsregeln, Minderheitenschutz und Teilzuständigkeiten im Gesundheitswesen und im Bildungsbereich. Die in der EU-Grundrechtecharta garantierte Glaubens- und Gewissensfreiheit und die Gewissensverweigerung, die darauf beruht, werden hingegen ausdrücklich als „Hindernisse“ bezeichnet.
Der 40 Seiten lange „Bericht A7-0306/2013 über sexuelle und reproduktive Gesundheit und die damit verbundenen Rechte (2013/2040(INI))“ greift auch die Konkordate mit der katholischen Kirche an, denn Abtreibung sei ein „Grundrecht, das nicht aus religiösen Gründen, beispielsweise durch den Abschluss von Konkordaten, beschnitten werden sollte“. In dieser Logik fordert die Resolution die Mitgliedstaaten auf, den Zugang zu Abtreibungen durch einen „rechtsbasierten Ansatz ohne Diskriminierung aus Gründen der ethnischen Zugehörigkeit, der Wohnsituation, des Migrationsstatus, des Alters, einer Behinderung, der sexuellen Orientierung, der Geschlechtsidentität, der Gesundheit oder des Familienstands“ sicherzustellen. Ein „rechtsbasierter Ansatz ohne Diskriminierung“ bedeutet im Klartext ein allgemeines Recht auf Abtreibung. Während der Abstimmung im federführenden Frauenausschuss wurden alle Änderungsanträge abgelehnt, die von den deutschen CDU/CSU-Europaabgeordneten Bernd Posselt, Martin Kastler, Peter Liese, Christa Klaß, Angelika Niebler und der slowakischen Christdemokratin Anna Záborská eingereicht wurden. Sieben Gegenstimmen und sieben Enthaltungen sowie zwei nicht mitstimmende Mitglieder im Frauenausschuss beweisen laut Teuscher, „dass diese Entschließungsvorlage nicht konsensfähig ist“.
Am heutigen Donnerstag
entscheiden nun die Fraktionsvorsitzenden über den
Entwurf der Tagesordnung. Am Montag können die
Abgeordneten im Plenum in Straßburg die
Tagesordnung noch verändern und so den Bericht von
der Tagesordnung nehmen. Bis dahin haben alle
Unterstützer der Europäischen Bürgerinitiative
„One of us“ Gelegenheit, sich an alle
Europa-Abgeordneten zu wenden mit der Bitte, den
Bericht A7-0306/2013 zur Neuberatung in den
Frauen-Ausschuss zurückzuverweisen oder eine
Verschiebung der Abstimmung zu beantragen. „Die
Annahme der Entschließung würde bedeuten, dass
jede Europäische Bürgerinitiative durch eine
Entschließung der europäischen Volksvertreter ad
absurdum geführt werden kann“, fürchtet Teuscher.
Quelle:
http://www.freiewelt.net/lebensschutz-auf-der-kippe-10013465/