WELT ONLINE: „Weg mit dem Paragrafen 218“ forderten die Frauen der 68er-Generation. Doch der ist immer noch in Kraft. Sind sie gescheitert?
Gisela Notz: Der Kampf gegen Paragraf 218 ist ja viel älter als die 68er-Generation. Schon Helene Stöcker, Gründerin des Mutterschutzbundes von 1905, kämpfte für seine Streichung. Der Höhepunkt waren die Kampagne im „Stern“ und die damit verbundenen Aktionen. Sie führten dazu, dass der Paragraf, wenn auch nicht gestrichen, so doch reformiert wurde.
WELT ONLINE: Führen liberale Gesetze nicht auch zu einem leichtfertigeren Umgang mit dem Thema Abtreibung?
Notz: Nein. Die Praxis zeigt, dass eine Abtreibung nicht als Ersatz für Verhütung betrachtet wird. Keine Frau macht sich die Entscheidung leicht. Auch Strafen verhindern nicht, dass Frauen abtreiben. Nur wird es dann zu einer sozialen Frage: Frauen, die es sich leisten konnten, fanden immer Wege, für die anderen war es schwierig und oft mit gesundheitlichen Risiken verbunden. Umgekehrt ist in Ländern mit liberalen Gesetzen die Zahl der Abtreibungen auch nicht höher.
WELT ONLINE: Pro Familia berät schwangere Frauen, ist aber gegen die Beratungspflicht. Warum?
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Notz: Weil jede Art von Zwang den fachlichen Grundsätzen von Beratung widerspricht und die Würde der Frau beeinträchtigt.
WELT ONLINE: Was ist mit dem Schutz des ungeborenen Lebens?
Notz: Der Begriff wird von den selbst ernannten Lebensschützern benutzt. Wir sind der Meinung, dass die Frau selbst entscheiden muss, ob sie ein Kind bekommen möchte.
WELT ONLINE: Sie würden den Beginn von „Leben“ erst ab der Geburt definieren?
Notz: Der Zeitpunkt der Geburt ist die entscheidende Zäsur für den von der Mutter unabhängig lebensfähigen Menschen.
WELT ONLINE: Was halten Sie von den Plänen der CDU und anderen, Spätabtreibungen zu sanktionieren?
Notz: Pro Familia und neun weitere Verbände haben sich bereits im Juni 2006 dagegen ausgesprochen. Wir alle fürchten, dass die konservativen Parteien durch den Nachbesserungsvorschlag die gültige Regelung infrage stellen wollen.
WELT ONLINE: Aus welchem Grund?
Notz: Dahinter steckt das Interesse einiger Gruppen, zum Beispiel der Kirchen oder auch der selbst ernannten Lebensschützer, Frauen kontrollieren zu wollen. Einige bringen auch demografische Argumente ins Spiel, verweisen auf die niedrige Geburtenrate. Aber keine Frau bekommt ein Kind, um die Rentenkassen zu füllen.
WELT ONLINE: Warum ist das Thema Abtreibung immer noch ein Tabu?
Notz: Unter anderem deshalb, weil es ein hoch emotionalisiertes Thema ist und immer noch als Straftat behandelt wird. Die „Schuldige“ ist immer noch die Frau.