Sabine Schleiermacher: Sozialethik im Spannungsfeld von
Sozial- und Rassenhygiene. Der Mediziner Hans Harmsen im Centralausschuß
für die Innere Medizin, Husum: Matthiesen 1998, 352 S., ISBN:
3-7868-4085-7, Preis: DM 104.-.
Rezensiert für H-Soz-u-Kult von Wilfried Witte
Obzwar sie entgegen allgemeinen Verlautbarungen selten
gesehen ward, es gibt sie noch: die interdisziplinäre Arbeit! Sabine
Schleiermacher, die eine Abhandlung über die protestantische Sozialethik
ausgehend von der Weimarer Republik bis 1938 vorgelegt hat, ist hiermit
die erste Promovendin des Fachbereichs Humanmedizin der Freien Universität
Berlin, die den Titel "Doctor rerum medicarum" verliehen bekam. Die
Arbeit, die sie nach einem theologischen und historischen Studium in
Hamburg, Heidelberg und Berlin fertiggestellt hat, enthält "Sprengstoff"
für die wissenschaftliche Diskussion über das Verhältnis der
Vorgängerorganisation des Diakonischen Werks, der sogenannten Inneren
Mission, zur Ideologie des Nationalsozialismus. Sie zeigt eine unvermutete
konzeptionelle Verbindung von Religion und Medizin auf. Im Mittelpunkt der
Monographie steht der Sozialhygieniker Hans Harmsen (1899-1989) als
Funktionär der Inneren Mission. Schleiermacher hat seinen Nachlaß im
Bundesarchiv Koblenz als erste gesichtet, geordnet und bearbeitet.
Die Innere Mission war der "wichtigste protestantische
Träger von Einrichtungen für körperlich und geistig behinderte sowie alte
Menschen" (S.11). Die Sozialhygiene stellte eine sich in der Weimarer
Republik etablierende Wissenschaft dar, deren Thema "Krankheit und soziale
Lage" war. Schon am Ende des 19. Jahrhunderts bestand jedoch ein Konnex
zur Rassenhygiene. Ein exponierter Vertreter der Verbindung beider
Richtungen, soziale und generative "Frage", war der erste deutsche
Lehrstuhlinhaber für Sozialhygiene in Berlin, Alfred Grotjahn. Die
personale und inhaltiche Verbindung zur Sozialhygiene stellte die Innere
Mission über den jungen Grotjahn-Schüler Hans Harmsen her. Schleiermacher
entwirft nun in fünf Kapiteln das Procedere dieser Integration, insoweit
es sich um Harmsen Wirken in der Inneren Mission weitreichend entspinnt.
Harmsens Weg beginnt in der deutschen Jugendbewegung.
Verschiedene "Wandervogel"- Organisationen waren zunächst sein Zuhause.
"Innere Freiheit", die "innere Werte" widerspiegelt, sollten ein Fundament
bilden für ein Verständnis eines jugendlichen Lebensstils. Die spezifische
Vorstellung eines deutschen Volkes, das sich in steter Bedrohung von außen
durch räumliche Expansion und nationale Dominanz in "Mitteleuropa" seiner
selbst zu vergewissern habe, das "völkische Denken" also, muß es Harmsen
schon früh angetan haben. Er organisierte sich schnell in "freideutschen",
"jungdeutschen" Zirkeln: der einzelne ist nichts, das Ganze ist alles.
Innerlichkeit und Konservativismus in "jungem Gewande" ("Christentum,
Deutschtum und Sozialismus") machten Harmsens politische Einstellung aus,
die er ohne jegliche originellen Irritationen gleichmäßig sein Leben lang
propagiert zu haben scheint. Ein großes Vorbild war der lutherische
Theologe Karl Bernhard Ritter (DNVP). Zu Harmsens völkischem
Freiheitsbegriff gehörte notwendig, sich - wie könnte es anders sein - in
verschiedenen Zusammenhängen und Organisationen für das "Grenz- und
Auslandsdeutschtum" zu engagieren, um die "natürlichen Volksgrenzen"
wiederherzustellen. Am Ende des ersten Kapitels attestiert Schleiermacher
Harmsen ein "organizistisches Gesellschaftsbild". Sie vermißt hingegen
"existentialistische Einsichten", zu denen "zahlreiche andere
Zeitgenossen" ausgangs des 1. Weltkriegs gelangt seien (S.56). Während die
Existenz und Ausprägung dieser "existentialistischen Einsichten" als
bekannt vorausgesetzt werden, wird der Organizismus als Grundfeste in
Harmsens Leben sehr treffend ausgeführt. Die spezielle Mischung aus Hybris
und Banalität, die dabei motivierend war, beschreibt Schleiermacher mit: "Harmsen
zählte zu den vom Neuluthertum geprägten Jungdeutschen, die sich für die
Bewahrung der Schöpfung, d.h. die Durchsetzung ordnungstheologischer
Kategorien, wie Volk, Rasse und Familie, einsetzen wollten und sich in der
Nachfolge Christi verstanden." (S. 57)
Harmsen studierte Medizin und Nationalökonomie und
folgte darin seinem Lehrer Grotjahn, dessen bevölkerungspolitische
Vorstellungen ihn anzogen. Laut Schleiermacher entwickelte Harmsen dabei
im Gegensatz zu Grotjahn ein eindeutiges Bekenntnis zur Rassenhygiene. Mit
seiner medizinischen Doktorarbeit hat er sich nicht allzusehr gequält: auf
24 Seiten stellte er die unterschiedliche sozialpolitische Gesetzgebung
zur Bekämpfung des Geburtenrückgangs von 1800 bis 1923 in Deutschland und
Frankreich vor. Grotjahn begründete seine Fürsprache für die Arbeit damit,
daß das Material bislang "völlig unbekannt" gewesen sei (S. 66). Die
zweite, "philosophische" Doktorarbeit stellte dann ausführlicher die
Bevölkerungspolitik Frankreichs dar, wobei genügend Platz war für
Seitenhiebe auf den ungeliebten westlichen Nachbarn. Während, nach Baader,
bei der medizinischen Dissertation die sogenannte positive Eugenik im
Vordergrund stand (Bekämpfung des Geburtenrückgangs), ging es in der
nationalökonomischen um "Sozialtechniken der `Aufartung´ staatstragender,
erblich wertvoller Familien", um die Beseitigung der "schädlichen
Erbmasse" (S.69f.). Seine Ansichten zur "praktischen Bevölkerungspolitik"
hat Harmsen noch einmal 1931 in einer Monographie kundgetan. Da man ja
möchte, daß Bücher, die man schreibt, von den `richtigen Leuten´ gelesen
werden, schickte Harmsen Belegexemplare u. a. an Heinrich Brüning, Benito
Mussolini und Adolf Hitler. Sein Anschreiben an Hitler sprach eine
eindeutige Sprache, wenn es hieß: "Mit grossem Interesse und aufrichtiger
Freude habe ich im `Völkischen Beobachter´ die Berichte über die Tagung
nationalsozialistischer Ärzte in Leipzig gelesen, die ein starkes
Bekenntnis zur Notwendigkeit planmässiger bevölkerungspolitischer
Massnahmen enthielt." (S. 77)
Wie nun diese Bevölkerungspolitik mit der evangelischen
"Sittlichkeit" zusammenhing bzw. zusammenkam, das wird im dritten Kapitel
des Buches erläutert. Im medizinisch-wissenschaftlichen Verständnis des
ausgehenden 19. Jahrhunderts war Sex bekanntlich eine niedere
Angelegenheit mit der Tendenz zur Pathologie, so daß er nur wegen und in
seiner reproduktiven Notwendigkeit gerechtfertigt und praktikabel war.
Selbst Grotjahn, der nicht gerade für sein besonders freizügiges Leben
bekannt war, hat in seinen Lebenserinnerungen verächtlich darauf
hingewiesen, daß er als Student der Medizin (in der Lehre) mit Sexualität
nur in Form von schrecklichen Krankheiten konfrontiert worden war. Es
verdient eigentlich keines besonderen Hinweises, daß die
Sittlichkeitsbewegung Sex außerhalb der Ehe als Quelle vielfältigen Übels
ansah, während "Schmutz und Schund" im Theater und anderswo "Anstand und
guter Sitte" ihrer Meinung nach Hohn sprachen und Abtreibungen im Rang
eines Verbrechens standen.
Mit Beginn des 1. Weltkriegs stieg die Innere Mission
verstärkt in die Sittlichkeitsbewegung ein. Nach dem Krieg war viel zu
tun, der gesellschaftliche Umbruch bedrohte und untergrub die "Reinheit"
der "Volksgemeinschaft". Die - nach eigener Einschätzung des Verbandes -
inzwischen "leicht zum Spott" (S. 93) herausfordernde Bezeichnung
"Volksgemeinschaft zur Wahrung von Anstand und guter Sitte" wurde
umgeändert in "Arbeitsgemeinschaft für Volksgesundung" (AfV). Jetzt fehlte
dem zentralen Gremium der Inneren Mission, dem "Centralausschuß", und den
anderen Sittlichkeitswächtern noch jemand, der - wie es ein Funktionär
ausdrückte - "die Arbeit macht" (S.94). Das war die Stunde des Mediziners
Hans Harmsen. Schleiermacher schreibt dazu: "Mit der Anstellung Harmsens
1925 vollzog sich in der AfV noch kaum merklich ein Generationswechsel.
Diesem jungen Mann von 26 Jahren stand ein Vorstand mit einem
Durchschnittsalter von 65 Jahren gegenüber. Harmsen hatte sich als
moderner, wissenschaftlich ambitionierter Sozialhygieniker mit dem
Schwerpunkt Bevölkerungswissenschaft und -politik ausgewiesen. Von ihm
erhoffte man sich eine Modernisierung der Sittlichkeitsbewegung, die der
Lebenswelt der Weimarer Republik eher gerecht werden sollte." (S.96)
Harmsen machte das, was seiner Vorstellungswelt
entsprach und was er konnte: er organisierte. Das Geflecht der
verschiedenen Verbände, ihrer Interaktionen und der nicht ungewöhnlichen,
dafür aber beharrlich betriebenen Maßnahmen hat Schleiermacher in
mühevoller Kleinarbeit in Bezug auf Harmsen herausgearbeitet. Sehr
bezeichnend ist Harmsens Auftreten im Rahmen der
Weltbevölkerungskonferenzen, bei denen die Geburtenregelung auf der
Tagungsordnung stand. Harmsen, der beklagte, daß Eheberatungsstellen zur "eugenetischen
Beratung" immer mehr die Funktion von Sexualberatungsstellen übernehmen
würden (S. 127), hatte 1928 und 1929 mit der Präsidentin der
amerikanischen "Liga für Geburtenkontrolle" Margaret Sanger, die
Deutschland bereiste und "Propagandakurse für Geburtenregelung" im Land
einführen wollte (S. 125f.), zu tun. Sein Organisationstalent und seine
exekutive Funktion ermöglichten es ihm jedoch, Sangers Bestrebungen in
ihrer Bedeutung soweit herunterzuspielen, daß davon faktisch nichts blieb.
War sein Wirken hier mehr destruktiv, so konnte Harmsen
an anderer Stelle auch sehr konstruktiv wirken. Im Rahmen des "Volksbundes
für das Deutschtum im Ausland" hob der Nationalökonom hervor, daß für
statistische Übersichten die Kirchen- und Pfarrbücher herangezogen werden
müßten (S. 131). Die Arbeit des "Volksbundes" war später - so
Schleiermacher - für die Umsetzung des "Generalplans Ost" und des
"Arierparagraphen" von zentraler Bedeutung (S. 132). Die geänderte
Perspektive der Sittlichkeitsbewegung vom einzelnen hin zur
"Volksgemeinschaft" (S. 135f.) zeigt Schleiermacher auch im vierten
Kapitel ihrer Arbeit auf, in der es explizit um Harmsens Tätigkeit als
Leiter des Referats Gesundheitsfürsorge des Centralausschusses für die
Innere Mission geht. Die Stoßrichtung ging gegen die Wohlfahrtspolitik der
Weimarer Republik, die Sachße und Tennstedt als den Kompromiß der Weimarer
Reichsverfassung bezeichnet haben. Die Innere Mission empfand die
"explizit sozialstaatliche und wohlfahrtspolitische Ausrichtung des
Weimarer Staates" als "Konkurrenz" (S. 145). Der Centralausschuß (CA)
entschied sich mit der Wahl Harmsens als Referatsleiter für eine
"biologistische, eugenisch ausgerichtete Sozialhygiene": "Mit der
Anstellung eines wissenschaftlich orientierten Mediziners und Technokraten
integrierte der CA neueste Argumentationen aus dem Bereich der
Sozialmedizin, wodurch die Legitimationen für seine bisherigen Aktivitäten
in der Gesundheitsfürsorge nun verobjektiviert und rational gestaltet
wurden." (S.149f.).
Schleiermacher führt minutiös die verschiedenen Linien
der Argumentation von Vertretern der Inneren Mission aus und stellt
Harmsens aktive, interpretierende und exekutive Funktion dabei heraus. Es
galt, die "Sprachlosigkeit der Kirche" z.B. bei der `Sexualethik´ zu
beseitigen (S. 164). Harmsen wandte sich vehement gegen Abtreibung.
Goutierte Mittel der Geburtenregelung hingegen waren die "eugenische
Eheberatung, die Verteilung von Verhütungsmitteln nach Indikation oder
eugenisch indizierte Sterilisation" (S. 167). Harmsen, den Schleiermacher
der "völkisch ausgerichteten Rassenhygiene" zuordnet (S.192), hatte wie
die Mehrheit im Centralausschuß (S. 201ff.) keine Schwierigkeit, dem
Gesetzentwurf, der die Grundlage für das "Gesetz zur Verhütung erbkranken
Nachwuchses" (1933) bildete, zuzustimmen. Eine eugenische Sterilisation
wurde akzeptiert, Maßnahmen zur "Artreinigung" bei geistig und körperlich
behinderten Menschen - so einer der Vertreter der Inneren Mission -
sollten sein: 1. die Verwahrung in Anstalten, 2. die Sterilisation, 3.
Ehegesundheitszeugnisse, 4. Meldepflicht bei Geschlechtskrankheiten und 5.
die Stärkung des "Erbgesundheitsgewissens" der Bevölkerung (S. 214). Die
"deutsch-nationale Theologie der Schöpfungsordnungen", die sich der
"Motive von Volk, Nation und Rasse bediente" (S. 215), ging, ausgehend von
der Sittlichkeitsbewegung (S. 208), eine Verbindung mit der Rassenhygiene
ein: "Eugenik wurde zum Dienst am Volk aus Nächstenliebe, mit der erbliche
Sünde und Schuld überwunden werden konnte. Mit der Vererbungswissenschaft
meinte man nun einen tieferen Einblick in die Schöpfungsordnungen gewinnen
zu können und damit ein besseres Instrumentarium zur Herstellung von
Ordnung zu besitzen. Man glaubte in ihr eine Bestätigung für theologische
Grundannahmen zu finden. So sollte etwa eine ´negative´ genetische
Disposition eines Menschen den "Sündenfall" der Menschheit bestätigen."
(S. 216)
In der Situation der Weltwirtschaftskrise, die ganz
praktisch auch die Innere Mission finanziell vor Probleme stellte, prägte
Harmsen 1931 den Begriff der "differenzierten Fürsorge" (S. 222, 235,
277). Damit war praktisch der Schritt von der "quantitativen" zur
"qualitativen" Bevölkerungspolitik getan. Fürsorgerische Leistungen
sollten reserviert sein für diejenigen Personen, die auch im
Wirtschaftsprozeß leistungsfähig waren, woraus sich der Wert des Menschen
ergab. Darüber ließe sich dann auch eine "Höherentwicklung des Volkes"
erreichen. Die Kennzeichnung der Argumentation als utilitaristisch, die
Schleiermacher für diese Ausführungen postuliert (S. 222, 233, 274, 282),
ermangelt jedoch der begrifflichen Schärfe. Dies zeigt sich augenfällig,
wenn die Autorin den "materialistisch verstandenen Utilitarismus" der
Nationalsozialisten von dem Utilitarismus Harmsens abgrenzt (S. 274).
Angesichts der heutigen Verständigungsschwierigkeiten zwischen Ethik in
der Philosophie und Ethik im Rahmen der Medizingeschichte tut hier
Klarheit allerdings Not.
Der Schritt, den Harmsen laut Schleiermacher nicht mehr
bereit war zu gehen, war derjenige hin zur "Euthanasie". So lehnte er den
"eugenisch indizierten Schwangerschaftsabbruch" ab (S. 251) und ebenso den
Krankenmord (S. 281). Der offene Rassismus gegenüber den Juden hingegen
stellte für ihn u.a. aus religiöser Motivation heraus kein Problem dar (S.
267-273).
Im fünften Kapitel des Buches unternimmt Schleiermacher
eine Schlußdiskussion. Dabei bilanziert sie Defizite der Inneren Mission
in der "Beachtung von Christologie und Eschatologie" durch den Einzug
eines "gnadenlosen, konsequent mechanistischen Menschenbildes" in die
Theologie. Harmsens Rolle bedeutet für sie den "Übergang von allgemeinen
sozialdarwinistischen Vorstellungen zu konkreten sozialhygienischen
Vorstellungen" bei der Inneren Mission im Sinne eines völkischen Denkens,
das das alte "nationalkonservative Obrigkeitsdenken" ablöste (S. 279).
Schleiermachers Buch ist nicht für ein breites Publikum
geschrieben, seine Lektüre ist keine leichte Kost. Die Lesbarkeit ist
gemindert durch das erstmalige getreue Abbilden des organizistischen
Geflechts, das die inhaltliche Umorientierung der protestantischen
Sozialethik aufzeigt. Der Gegenstand diktierte offensichtlich den Stil der
Darstellung. Da die zeitgenössische ethische Argumentation erschütternd
dürr und tagespolitisch geschäftig ist, die Theologie merkwürdig
simplifiziert und die Organisation penibel und umfassend war, kann die
Darstellung dessen kaum stilistische `Funken´ versprühen. Was jedoch die
Lesbarkeit unnötigerweise mindert ist die allgemeine Verwendung von
Abkürzungen. Dies ist für den wissenschaftlichen Arbeitsprozeß zwar sehr
verständlich, für die Lektüre der Publikation aber hinderlich; es kommt
dabei zu Sätzen wie: "Während der Zeit des Nationalsozialismus arbeitete
der von der AfV und dem DSB gegründete BA weiter." (S. 130) oder: "Nach
ersten Vorbesprechungen gründete der CA auf Veranlassung des AfFB,
gleichzeitig mit der Fachkonferenz für Eugenik, als deutsche Arbeitsgruppe
und als Unterausschuß des AfFB, den EASE." (S. 161). Die gelegentliche
Redundanz hingegen ist insgesamt eher nützlich, genauso wie das Personen-
und Organisationen- / Institutionenregister notwendig sind.
1939 gelang es Harmsen mit Protegierung des
Geo-Mediziners Heinz Zeiss, sich zu habilitieren. Der Rassenhygieniker
Fritz Lenz stimmte nach eigenem Bekunden nur aus Rücksicht auf Zeiss zu
(S. 65), fand aber eigentlich die in der Probevorlesung entworfenen
"methodischen Vorstellungen" Harmsens "denn doch zu primitiv" (S. 64).
Läßt man die Frage, ob Lenz´ Positionen essentiell weniger primitiv waren,
einmal außer acht, so kann man resümieren: Die Arbeit Schleiermachers
zeigt sehr gut auf, wie sich die brutale Banalität der theoretischen
Entwürfe von Schöpfungstheologie und Rassenhygiene mit der Mediokrität und
dem Organistionstalent eines Hans Harmsen verbanden. Daß vor dem damit
geschaffenen inhaltlichen Hintergrund kein effektiver Widerstand gegen die
nationalsozialistische Mordmaschinerie möglich war, leuchtet unmittelbar
ein.
Abschließend sei gesagt, daß Harmsen nach dem 2.
Weltkrieg unbehelligt weiter eugenische Bevölkerungspolitik in der
Bundesrepublik Deutschland betreiben konnte. So war er Sachverständiger
des Bundesministeriums für Familie und Jugend und Mitbegründer von "pro
familia"! Seine Rolle im Nachkriegsdeutschland ist Teil eines
Forschungsprojekts am Institut für Geschichte der Medizin der Freien
Universität Berlin unter dem Titel: "Aufbau des Gesundheitswesens nach
1945 - Neue Konzepte und Ziele?"
Rezensiert fuer H-Soz-u-Kult von:
Wilfried Witte <witte@medizin.fu-berlin.de>, Institut
für Geschichte der Medizin, FU Berlin
Quelle = Email <H-Soz-u-Kult>
From: Wilfried Witte <witte@medizin.fu-berlin.de>
Subject: Rezension Schleiermacher
Date: 01.06.1999
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