Deutscher Bundestag Drucksache 17/
2 17. Wahlperiode
15.12.2010
Gesetzentwurf
der Abgeordneten Ulrike Flach, Peter Hintze, Dr. Carola
Reimann, Jerzy Montag, Dr. Petra Sitte, Heinz Lanfermann,
Entwurf eines Gesetzes zur Regelung der Präimplantationsdiagnostik
(Präimplantationsdiagnostikgesetz – PräimpG)
A. Problem
Der Staat trägt eine besondere Verantwortung für den Schutz des
geborenen und ungeborenen
Lebens. Dies schließt den Schutz von Frauen vor schweren körperlichen
und seelischen Belastungen im Hinblick auf die Schwangerschaft sowie
die Vermeidung von Spätabbrüchen, die einen oftmals bereits
selbstständig lebensfähigen Embryo betreffen, mit ein. Viele Paare mit
einer genetischen Vorbelastung befinden sich in einem Konflikt. Sie
haben den Wunsch, einem gesunden Kind das Leben zu schenken, wissen
aber um das Risiko einer Schwangerschaft und die möglichen
Lebensrisiken für ihr Kind, dem eventuell eine schwere Krankheit
mitgegeben wird. Es sind vor allem solche Paare, die bereits ein
schwer krankes, vielleicht schon verstorbenes Kind haben oder die nach
einer Pränataldiagnostik und einer ärztlichen Beratung eine Abtreibung
haben vor nehmen lassen.
Seit gut zwei Jahrzehnten gibt es mit der PID die medizinische
Möglichkeit, schwere Erbkrankheiten und Chromosomen-anomalien an
künstlich erzeugten Embryonen noch vor deren Implantation zu erkennen.
Dadurch können bereits vor Einleitung der Schwangerschaft Fehl- und
Totgeburten und die Weitergabe von besonders schweren Erkrankungen an
das zukünftige Kind verhindert und schwere Belastungen, insbesondere
von den betroffenen Frauen, aber auch den Familien insgesamt,
abgewendet werden.
Mit seinem Urteil vom 6. Juli 2010 hat der
Bundesgerichtshof festgestellt, dass die PID zur Entdeckung schwerer
genetischer Schäden des künstlich erzeugten Embryos nach geltendem
Recht
44 unter bestimmten Voraussetzungen straffrei ist.
Dabei hat der Bundesgerichtshof darauf
hingewiesen, dass es widersprüchlich wäre, einerseits die belastenden
Schwangerschaftsabbrüche nach § 218a Abs. 2 StGB straffrei zu lassen
und andererseits die PID, die auf einem weitaus weniger belastenden
Weg dasselbe Ziel verfolgt, bei Strafe zu untersagen.
Damit steht zwar fest, dass die PID in der vom BGH zu entscheidenden
Konstellation nach geltendem Recht nicht strafbar ist. Eine eindeutige
gesetzgeberische Grundentscheidung, ob und inwieweit die PID in
Deutschland Anwendung finden soll, steht jedoch aus.
B. Lösung
Die Präimplantationsdiagnostik soll in Ausnahmefällen zulässig sein.
Um Rechtssicherheit für die betroffenen Paare und die Ärzte
herzustellen, ist das Embryonenschutzgesetz um eine Regelung zu
ergänzen, die die Voraussetzungen und das Verfahren einer PID
festlegt. Zur Vermeidung von Missbräuchen
soll die PID nach verpflichtender Aufklärung und Beratung sowie einem
positiven Votum einer interdisziplinär zusammengesetzten
Ethik-Kommission in den Fällen zulässig sein, in denen ein
oder beide Elternteile die Veranlagung für eine schwerwiegende
Erbkrankheit in sich tragen oder mit einer Tot- oder Fehlgeburt zu
rechnen ist. Im Vorfeld der PID soll eine sorgfältige Diagnostik bei
beiden Partnern nach strengen Kriterien erfolgen. Zur Gewährleistung
eines hohen medizinischen Standards soll die PID an lizenzierten
Zentren vorgenommen werden.
C. Alternativen
Keine. Eine Beibehaltung des derzeitigen Embryonen-schutzgesetzes
bedeutet für die betroffenen Paare und Ärzte eine unzumutbare
Rechtsunsicherheit. Ein explizites Verbot der PID, das einschlägig
vorbelasteten Paaren es praktisch unmöglich machte, eigene genetisch
gesunde Kinder zu bekommen, wäre hingegen verfassungsrechtlich
bedenklich und stünde im Widerspruch zu der Möglichkeit der Frau, bei
einem im Wege einer Pränataldiagnostik festgestellten schweren
genetischen Schaden des Embryos und bei Vorliegen der medizinischen
Indikation die Schwangerschaft abbrechen zu lassen. Auch die
Polkörperdiagnostik scheidet als Alternative zur PID aus. Nur die
weibliche Eizelle bildet während der meiotischen Teilung Polkörper,
deren genetische Diagnostik Rückschlüsse auf die genetische
Ausstattung der Eizelle ermöglichen. Die genetische Ausstattung des
männlichen Spermiums kann mit dieser Methode nicht diagnostiziert
werden. Crossing-over-Ereignisse während der ersten meiotischen
Teilung können zudem zu Fehldiagnosen führen.
D. Kosten
D
urch die Anwendung der PID in der
reproduktionsmedizinischen Praxis entstünden den Haushalten des Bundes
und der Länder Kosten, wenn diese neue Methode über Steuermittel
finanziert
würde. Da Fachleute bei einer Zulassung der PID in dem vorgeschlagenen
engen Rahmen bis auf weiteres nur mit wenigen hundert Fällen im Jahr
rechnen, wäre die Höhe der Kosten auf jeden Fall begrenzt.
Der Bundestag hat das folgende Gesetz beschlossen:
Artikel 1
Änderungen des Embryonenschutzgesetzes
Das Embryonenschutzgesetz vom 13. Dezember 1990 (BGBl. I S. 2746) wird
wie folgt geändert:
1. Nach § 3 wird folgender neue § 3a eingefügt:
§ 3a
Präimplantationsdiagnostik
(1) Wer Zellen eines Embryos in vitro vor seinem intrauterinen
Transfer genetisch untersucht (Prä107 implantationsdiagnostik), wird
mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft.
(2) Besteht auf Grund der genetischen Disposition der Eltern oder
eines Elternteiles für deren Nachkommen eine hohe Wahrscheinlichkeit
für eine schwerwiegende Erbkrankheit, handelt
nicht rechtswidrig, wer zur Herbeiführung einer
Schwangerschaft nach dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen
Wissenschaft und Technik einen Embryo in vitro vor dem intrauterinen
Transfer auf die Gefahr dieser Krankheit untersucht.
Nicht rechtswidrig handelt auch,
wer eine Präimplantationsdiagnostik zur Feststellung einer
schwer-wiegenden Schädigung des Embryos vornimmt, die mit hoher
Wahrscheinlichkeit zu einer Tot- oder Fehlgeburt führen wird.
(3) Eine Präimplantationsdiagnostik nach Absatz 2 darf nur nach einer
medizinischen und psychosozialen Beratung und schriftlichen
Einwilligung der Mutter von fachlich geschulten Ärzten nach einem
positiven Votum einer interdisziplinär zusammengesetzten
Ethikkommission und in für die Präimplantationsdiagnostik lizenzierten
Zentren vorgenommen werden. Die im Rahmen der
Präimplantationsdiagnostik durchgeführten Maßnahmen werden in einer
Zentralstelle dokumentiert.
Das Nähere wird durch Verordnung der Bundesregierung geregelt.
(4) Ordnungswidrig handelt, wer entgegen § 3a Abs. 3 eine
Präimplantationsdiagnostik vornimmt.
Die Ordnungswidrigkeit kann mit einer Geldbuße bis zu fünfzigtausend
Euro geahndet werden.
(5) Kein Arzt ist verpflichtet, eine Maßnahme nach Absatz 2
durchzuführen oder an ihr mitzuwirken. Aus der Nichtmitwirkung darf
kein Nachteil des Betreffenden erwachsen.
(6) Die Bundesregierung erstellt in jeder Legislaturperiode,
frühestens nach zwei Jahren nach Inkrafttreten des Gesetzes, einen
Bericht über die Erfahrungen mit der Präimplantationsdiagnostik.
Der Bericht enthält auf der Grundlage der zentralen Dokumentation die
Zahl der jährlich durchgeführten Maßnahmen sowie eine
wissenschaftliche Auswertung. Der Bericht beruht auf anonymisierten
Daten.
2. In § 9 wird folgende neue Nummer 2 eingefügt:
„2. die Präimplantationsdiagnostik,“.
Die bisherigen Nummern 2 und 3 werden Nummern 3 und 4.
3. In § 11 Abs. 1 wird folgende Nummer 2 eingefügt:
„2. entgegen § 9 eine Präimplantationsdiagnostik vornimmt oder“.
In der bisherigen Nummer 1 wird das Wort „oder“
durch ein Komma ersetzt.
Artikel 2
Inkrafttreten
Das Gesetz tritt am ……… in Kraft.
Berlin, den 16. Dezember 2010
A. Allgemeiner Teil
I.
Das medizinische Verfahren der Präimplantationsdiagnostik (PID) wurde
Ende der 1980er Jahre entwickelt. Mit Hilfe der PID, die
ausschließlich bei einer künstlichen Befruchtung angewandt wird, sind
konkrete Aussagen über genetische Schädigungen einer oder mehrerer in
vitro befruchteter Embryozellen noch vor der Einsetzung in die
Gebärmutter möglich. Bei dem Verfahren der PID wird das Erbgut eines
Embryos durch die Entnahme von ein bis zwei Zellen ca. drei Tage nach
der Befruchtung hinsichtlich bestimmter krankheitsrelevanter
Mutationen oder Chromosomenanomalien untersucht. Genetisch stark
vorbe-lasteten Eltern, die zum Teil bereits ein schwer krankes Kind
haben oder die nach einer Pränataldiagnostik und einer ärztlichen
Beratung eine Abtreibung haben vornehmen lassen, gibt diese Methode
die Möglichkeit, ein gesundes Kind zur Welt zu bringen.
International ist das Verfahren in vielen Ländern etabliert. In Europa
zählen dazu Großbritannien, Frankreich, Spanien, Skandinavien, Belgien
und die Niederlande. In den meisten dieser Länder beruht die
Behandlungspraxis auf besonderen Gesetzen, die das Verfahren beim
Risiko einer schweren Erbkrankheit zulassen. Die Erfahrungen zeigen,
dass die Zulassung der PID unter strengen Auflagen eine
verantwortungsvolle medizinische Diagnose ermöglicht und hohe ethische
Kriterien erfüllt.
Der Bundesgerichtshof hat am 6. Juli 2010 entschieden, dass die PID
zur Entdeckung schwerer genetischer Schäden des extrakorporal
erzeugten Embryos unter bestimmten Voraussetzungen straffrei ist. Er
hat festgestellt, dass die PID im Einklang steht mit dem durch das
Embryonen schutzgesetz verfolgten Zweck des Schutzes von Embryonen vor
Missbräuchen. Zudem sei die PID geeignet, schwerwiegende Gefahren
infolge eines späteren ärztlich angezeigten Schwanger schaftsabbruches
zu vermeiden. Ein strafbewehrtes Gebot, Embryonen auch bei genetischen
Be lastungen der Eltern ohne Untersuchung zu übertragen, berge hohe
Risiken in sich.
II.
Angesichts der Hochwertigkeit der betroffenen Rechtsgüter ist es zur
Gewährleistung hoher medizinischer und ethischer Standards
erforderlich, die Voraussetzungen und Verfahren der PID zu
regeln. So ist es nur in bestimmten Fällen medizinisch vertretbar,
künstlich gezeugte Embryonen vor der Einpflanzung in den Mutterleib
auf Erbkrankheiten oder Schädigungen, die zu einer Fehl bzw. Totgeburt
führen könnten, zu untersuchen. Da eine Regelung wesentlich in
Grundrechtspositionen Beteiligter eingreift, ist der Gesetzgeber
gehalten, Rechtssicherheit zu schaffen. Bei einer gesetzlichen
Regelung der PID verfügt der Gesetzgeber über einen weiten
Gestaltungsspielraum, unterliegt jedoch den Grenzen der Verfassung.
Ein absolutes Verbot der PID würde gegen das Verhältnismäßigkeitsgebot
verstoßen. Der Gesetzentwurf trägt dem durch eine an enge
Voraussetzungen gebundene Zulassung der PID Rechnung.
Die Notwendigkeit, die PID gesetzlich zu regeln, reicht allerdings nur
so weit, wie es die Legitimierung des Grundrechtseingriffs gebietet.
Das Nichtimplantieren eines geschädigten Embryos wird auch nach einer
begrenzten Zulassung der PID für viele Ärzte und Eltern eine Frage des
Gewissens bleiben. Die Freiwilligkeit der Vornahme bzw. Teilnahme hebt
der Entwurf in besonderem Maße hervor – auch um einem möglichen Trend
in der Gesellschaft vorzubeugen, der das gesetzliche Recht auf eine
PID einmal quasi zur Pflicht werden lassen könnte.
Gerade im Bereich persönlicher Lebensgestaltung, in dem regulative
staatliche Eingriffe besonderer Rechtfertigung bedürfen, bringt eine
begrenzte Zulassung der PID den individuellen Freiheitsanspruch auf
der einen und den Schutz allgemeiner Rechtsgüter durch den Staat auf
der anderen
Seite am ehesten zu einem gerechten Ausgleich. Denn eine derartige
Zulassung ermöglicht den Paaren, die eine PID wahrnehmen wollen, die
verantwortungsvolle Ausübung ihres Grundrechts auf
Fortpflanzungsfreiheit, ohne dass damit die moralische Position
derjenigen, die die PID strikt ablehnen, abgewertet oder für unhaltbar
erklärt würde.
III.
Der Gesetzentwurf dient dem Ziel, durch eine ausdrückliche Bestimmung
im ESchG die gesetzliche Grundlage für eine eng begrenzte Anwendung
der PID in Deutschland zu schaffen. Bei der Abwägung zwischen den
Ängsten und Nöten der Betroffenen und ethischen Bedenken wegen der
Nichtimplantation eines schwer geschädigten Embryos trifft dieser
Gesetzentwurf eine Entscheidung zugunsten der betroffenen Frau.
Über die Durchführung der PID ist jedoch in jedem Einzelfall gesondert
zu entscheiden. Dieser Einzelfall liegt dann vor, wenn ein für die PID
geschulter Arzt als Angehöriger eines lizenzierten
Zentrums für Fortpflanzungsmedizin eine hohe Wahrscheinlichkeit
attestiert, dass das von dem Paar gezeugte Kind von einer besonders
schweren Erbkrankheit betroffen sein wird oder eine Fehl- bzw.
Totgeburt zu erwarten ist. Die PID darf nur nach Zustimmung einer
interdisziplinär zu sammengesetzten Ethik-Kommission zu dem Zweck
durchgeführt werden, die Anlagen für dieses Leiden zu ermitteln. Das
Gesetz verzichtet bewusst auf eine Auflistung von Krankheiten als
Indika tion für eine PID. Die Entscheidung, in welchen eng definierten
Fällen eine PID durchgeführt wer den kann, obliegt dem verantwortlich
handelnden Arzt und dem Votum der Ethik-Kommission.
Über jeden Fall wird einzeln entschieden.
Das Gesetz definiert eine Pflicht zum Beratungsgespräch vor der
Durchführung einer PID. Die medizinische und psychosoziale Beratung
soll die Paare über Wesen, Tragweite und Erfolgsraten
der genetischen Untersuchung aufklären und den Paaren helfen eine
verantwortliche und gewissenhafte Entscheidung zu treffen. Eine
genetische Untersuchung oder Analyse darf nur vorgenommen und eine
dafür erforderliche genetische Probe nur gewonnen werden, wenn die
betroffene Frau in die Untersuchung und die Gewinnung der Probe
schriftlich gegenüber der verantwortlichen ärztlichen Person
eingewilligt hat. Auch nach Vorliegen des Untersuchungsergebnisses der
PID ist den Paaren eine genetische Beratung anzubieten.
Die PID ist nur in entsprechend lizenzierten Zentren zuzulassen und zu
konzentrieren.
Die Bundesregierung erstellt in jeder Wahlperiode einen Bericht über
die Erfahrung mit der PID, der dem Bundestag zugeleitet wird. Der
Bericht enthält auf der Basis der zentralen Dokumentation die Zahl der
jährlich durchgeführten Maßnahmen sowie eine wissenschaftliche
Auswertung. Der Bericht beruht auf anonymisierten Daten.
B. Einzelbegründung
Zu Artikel 1
Zu Nummer 1 (§ 3a Präimplantationsdiagnostik)
Um die ethische wie rechtliche Bedeutung der PID und die
Klarstellungsfunktion der Gesetzesänderung zum Ausdruck zu bringen,
fasst der Entwurf die notwendigen Änderungen in einem eigenen
Paragrafen zusammen. Eine Einfügung der Bestimmung nach § 3 empfiehlt
sich wegen einer
Vergleichbarkeit der Regelungsinhalte: § 3 Satz 2 lässt aus
schwerwiegenden genetischen Gründen eine Ausnahme von dem
grundsätzlichen Verbot des Satzes 1 zu, eine Samenzelle für die
künstliche Befruchtung nach dem Geschlecht auszuwählen; § 3a will aus
entsprechenden Gründen – allerdings für den Fall einer
Nichtimplantation bereits befruchteter Eizellen – eine begrenzte
Ausnahme vom grundsätzlichen Schutz der Embryonen regeln.
Zu Absatz 1
Absatz 1 trifft die gesetzgeberische Grundentscheidung für ein
grundsätzliches Verbot der PID.
Zu Absatz 2
Absatz 2 regelt, unter welchen Voraussetzungen die PID nicht
rechtswidrig ist.Vom Sinn des Behandlungsverfahrens her ist die PID
ein dreigeteiltes Verfahren (IVF/genetische
Untersuchung/Implantationsentscheidung). Die ersten beiden Schritte
sind eine logische Einheit, da der Arzt zunächst eine künstliche
Befruchtung vornehmen muss, um den Embryo auf das genetische Risiko
untersuchen zu können. Die Formulierungen „zur Herbeiführung einer
Schwangerschaft“ und „vor dem intrauterinen Transfer … zu untersuchen“
halten ausdrücklich fest, dass diese Schritte von einem Arzt nur mit
dem Ziel, einen Embryo zu implantieren, unternommen werden dürfen. Auf
diese Weise wird das gesamte Behandlungsverfahren unter bestimmten
engen Voraussetzungen als nicht rechtswidrig definiert.
Der Begriff der „schwerwiegenden Erbkrankheit“ des Kindes nimmt auf
eine vom ESchG bereits in § 3 Satz 2 verwendete Formulierung Bezug.
Unter „Erbkrankheiten“ sind nach derzeitigem Kenntnisstand der
Gendiagnostik monogen bedingte Erkrankungen und Chromosomenstörungen
zuverstehen. „Schwerwiegend“ sind diese insbesondere, wenn sie sich
durch eine geringe Lebenserwartung oder Schwere des Krankheitsbildes
und schlechter Behandelbarkeit von anderen Erbkrankheiten wesentlich
unterscheiden. Bezüglich der betreffenden Krankheit muss bei dem zu
behandelnden Paar ein „hohes genetisches Risiko“ vorliegen. Dies ist
eine hohe Wahrscheinlichkeit, die vom üblichen Risiko der Bevölkerung
der Bundesrepublik Deutschland wesentlich abweicht. Zum anderen ist
die Eintrittswahrscheinlichkeit nach den Gesetzlichkeiten der
Übertragbarkeit und Kombination erblicher Anlagen genetisch
einzuschätzen: Eine Wahrscheinlichkeit von 25 bis 50 % wird als hohes
Risiko bezeichnet. Das „Risiko des Paares“ muss nicht auf einer
Belastung beider Partner beruhen, sondern kann sich auch bei nur einem
Partner ergeben.
Eine Fehlgeburt ist eine Schwangerschaft, die endet, bevor der sich
entwickelnde Embryo bzw.Fetus lebensfähig ist. Bis zur 12.
Schwangerschaftswoche nennt man das Kind Embryo, danach
Fetus. Unter Totgeburt (intrauteriner Fruchttod) versteht man die
Geburt eines toten Fetus von 500 Gramm und mehr Geburtsgewicht oder
einem Gestationsalter von mindestens 22 vollendeten Wochen. Eine
Vielzahl von Faktoren kann zu einer Fehl- oder Totgeburt führen. Es
gilt heute als sicher, dass bestimmte Chromosomenanomalien die
häufigste Ursache für eine Fehl- oder Totgeburt darstellen, ohne dass
chromosomale Veränderungen bei den Eltern vorliegen.
Als gesetzgeberischer Anknüpfungspunkt für den § 3a Abs. 2 ESchG ist §
218a Abs. 2 StGB gewählt worden, weil hier wie dort (BVerfGE 88, S.
203 ff., 274) das Vorliegen einer ärztlichen Indikation festgestellt
werden muss. Ebenso wie der Abbruch nach medizinischer Indikation vom
Gesetz ausdrücklich als „nicht rechtswidrig“ erklärt wird, ist demnach
auch die Gesamtmaßnahme der PID mit der Rechtsordnung vereinbar. Bei §
218a Abs. 2 StGB erklärt sich die negative Formulierung „nicht
rechtswidrig“ aus dem Gegensatz zum rechtswidrigen Abbruch nach Absatz
1. Aus Gründen der Rechtsklarheit und gesetzgeberischen Eindeutigkeit
könnte in § 3a die positive Aus
sage „handelt rechtmäßig“ gewählt werden. An dieser Stelle muss jedoch
sowohl aus systematischen Gründen, als auch um unterschiedliche
strafrechtliche Interpretationen zu vermeiden die Formulierung „nicht
rechtswidrig“ gewählt werden.
Zu Absatz 3
Absatz 3 nennt Inhalt, Zweck und Ausmaß der erteilten Ermächtigung zum
Erlass einer Rechtsverordnung, die die Voraussetzungen festlegt, unter
denen die Anwendung einer PID zulässig ist.
Die dabei verwendeten unbestimmten Rechtsbegriffe bedürfen jedoch für
ihre Anwendung in der Praxis einer Konkretisierung. Darüber hinaus
sind den das Verfahren anwendenden Ärzten möglichst präzise Vorgaben
an die Hand zu geben.
Zu Absatz 4
Wer den gesetzlichen Vorgaben des Absatzes 3 nicht entspricht, muss
ein Bußgeld entrichten. So handelt ordnungswidrig, wer entgegen Absatz
3 eine PID ohne vorhergehende Beratung, die
schriftliche Einwilligung der Mutter, das positive Votum der
Ethikkommission oder in einem nicht lizenzierten Zentrum vornimmt.
Ordnungswidrig handelt auch, wer der Rechtsverordnung nach Abs. 3
zuwiderhandelt, soweit sie für einen bestimmten Tatbestand auf diese
Bußgeldvorschrift verweist.
Zu Absatz 5
Besonderen Wert legt der Entwurf darauf, dass die PID für alle
Beteiligten – insbesondere den behandelnden Arzt und die behandelte
Frau – freiwillig ist und diese Freiwilligkeit auch rechtlich
abgesichert wird. Dem dient die „Gewissensklausel“ des Absatzes 5.
Zu Absatz 6
Auf Grund der neuen Dimensionen, die sich für Eltern mit der
begrenzten Zulassung der PID bei der Entscheidung über die Geburt
eines Kindes eröffnen, ist es notwendig, dass das Parlament eine
verlässliche Grundlage erhält, um die Praxis der PID überprüfen zu
können. Der in jeder Legislaturperiode vorzulegende Bericht der
Bundesregierung ist notwendig für eine verlässliche Einschätzung der
Konsequenzen einer Anerkennung der PID. Zur Sicherung des
Datenschutzes werden die Daten anonymisiert erfasst und anonymisiert
im Bericht ausgewiesen.
Zu den Nummern 2 und 3 (Arztvorbehalt)
Es handelt sich um Folgeänderungen für die Vorschriften des ESchG über
den Arztvorbehalt und dessen Bewehrung (§§ 9 und 11). Die Durchführung
der PID soll Ärzten vorbehalten bleiben, da schon für die künstliche
Befruchtung der Arztvorbehalt gilt.
|