Grüne schon bei 28
Prozent:
Wird Jürgen Trittin der nächste
Bundeskanzler?
Es ist kaum zu fassen, welchen Linksruck wir derzeit
in Deutschland erleben. Die Grünen liegen bei aktuellen Umfragen (28
Prozent, Forsa, 6.April 2011) schon fast gleichauf mit der Union.
Grün-Schwarz hätte derzeit im Bund eine Mehrheit von 51 Prozent, der
Ex-Kommunist Jürgen Trittin wäre Bundeskanzler.
Mit der Katastrophe Fukushima im
Rücken katapultieren sich die Grünen im CDU-Stammland Baden-Württemberg an
die Macht und stellen künftig sogar den Ministerpräsidenten. Eine tief
einschneidende Zäsur und der Beginn einer anderen Republik.
Der Erfolg der Grünen istg nicht vom Himmel gefallen, er ist geistig und
kulturell vorbereitet worden.
Auch der Zeitgeist ist mit ihnen: Schon die „Revolutionäre" von 1968 mußten
keine Widerstände brechen, sondern „rannten offene Türen ein", so der
Alt-68er Frank Böckelmann. Die Grünen antizipieren eine
multikulturell-individualistisch-postnationale Zukunft, deren Konturen
bereits sichtbar sind. Sie können sich als Sieger der Geschichte sehen, ohne
ernsthafte Gegenbewegung.
Und die gibt es nicht, weil das bürgerliche Milieu von Anbeginn
kapitulationsbereit war. Auf die 68er-Revolte folgte nicht die Reaktion,
sondern unter Führung der CDU kam es zu einer teils verzögerten, teils
vorauseilenden Unterwerfung. Die CDU „schleift auch Gesinnungen, Interessen,
Milieus und `geistige Konzeptionen' innerhalb der Partei ab und sieht ihr
Ziel in der Geschlossenheit der Organisation, der Beliebigkeit der Inhalte
und der Maximierung der Wählerstimmen", wie es der große konservative
Publizist Caspar von Schrenck-Notzing einmal schrieb.
Die Grünen hingegen, bei aller Anpassung in der äußeren Verpackung, sind
über drei Jahrzehnte hinweg im Kern dieselben geblieben: Atomausstieg und
Skepsis gegenüber Großtechnologie; Auflösung von Familien und
Geschlechterunterschieden im Zeichen von Feminismus, Emanzipation und
Anti-Diskriminierung; Bildungsegalitarismus und Verstaatlichung der
Kindererziehung; Forcierung von Einwanderung und Multikulturalismus sowie
Bekämpfung des abstammungsbezogenen Volksbegriffs.
Winfried Kretschmann
hat nicht unrecht, wenn er seine Designation zum
ersten grünen Ministerpräsidenten der Republik als Frucht des geduldigen
Bohrens dicker Bretter bezeichnet. Die Grünen verdanken ihren derzeitigen
Höhenflug der Fähigkeit, ihre Kernthemen über Jahrzehnte hinweg beharrlich
zu verfolgen und als positiv konnotierte Vision zu präsentieren, bis sie die
Mitte der Gesellschaft durchdrungen haben.
Der CDU ist dies fremd. Ausgerechnet die Atomenergie, aus ethischen Gründen
auch bei Konservativen umstritten, war nun eines der letzten Politikfelder,
auf dem die Union noch den Mut hatte, eine Gegenposition zu Rot-Grün
durchzuhalten. Aber auch dies wurde jetzt durch den Blitz-Ausstieg
hinfällig.
Das bürgerliche Lager verfügt über kein wirkliches politisches Projekt
mehr. Der Einstieg in eine grundlegende Reform des Steuersystems wurde
beerdigt, von einer soliden Finanzpolitik kann keine Rede sein, eine
Eingrenzung des sozialen Transferleistungssystems steht nicht mehr auf der
Tagesordnung. Selbst in der Schulpolitik. einst Markenzeichen der Union,
haben die Christdemokraten den Kampf um das dreigliedrige Schulsystem en.
Ganz zu schweigen von einer familien- und bevölkerungspolitischen Wende.
Angela Merkel sieht sich durch die jüngsten Wahlen nicht widerlegt,
sondern sogar bestärkt. Schließlich verlor die CDU Wählerstimmen scheinbar
nach links und nicht nach rechts. Merkel muß bei ihren Kehrtwenden weder in
noch außerhalb der Partei auf nennenswerten Widerstand Rücksicht nehmen.
Schon gar nicht bei den bürgerlichen Leitmedien. Diese liefern sogar
bereitwillig den intellektuellen Überbau für die Mentalität der
Selbstaufgabe. Das Problem liegt also nicht an der CDU allein, es ist die
Kapitulation und der Untergang eines ganzen Milieus.
Die moralische Indifferenz, das ethische „Gürtel-Weiterschnallen" ist zu
einer allgemeinen Grundhaltung geworden. Die Permissivität, für die einst
die Grünen mit ihrer Forderung nach Gleichstellung homosexueller
Partnerschaften und Abschaffung des Schutzes der Ehe durch das Grundgesetz
standen, sie hat Union und FDP längst voll erfaßt. Der grüne Hoffnungsträger
von Baden-Württemberg, Winfried Kretschmann, versammelt als Katholik,
verheirateter Vater von drei Kindern und Mitglied eines Schützenvereins
indes sämtliche Attribute, die angesichts der verbreiteten Libertinage bei
Unions- und FDP-Spitzen schon fast reaktionär anmuten.
Bei der CDU lautet nun die selbstgewisse Devise: Mit Volldampf in die
Beliebigkeit. Jeder soll endlich mit jedem koalieren können. Röttgen,
Lichtgestalt der gewendeten Neo-CDU, will den politischen Luftwiderstand
noch weiter senken: „Auch wählersoziologisch ist das Lagerdenken passe", und
es entspricht auch nicht der strategischen Interessenlage der CDU."
Die komplette Neuausrichtung der Union ist also in vollem Gange. Dann eben
mit den Grünen. Oder morgen mit der Linken. Alles egal. Hauptsache Zugriff
auf die Macht. Das Kippen von Grundsätzen geht der neuen CDU nach dem
Ausstieg aus der Atomkraft noch flotter von der Hand. Ballast abwerfen.
Endlich kompatibel mit allen sein. Keine lästigen ethischen Bremsen mehr,
die einen irgendwo bedrängen.
Existentielle Fragen wie die drohende Kernschmelze der europäischen
Kunstwährung, die lnhaftungnahme des deutschen Steuerzahlers durch einen
verantwortungslosen Euro-Rettungsschirm und der putschartige,
verfassungswidrige Einstieg in eine europäische Transferunion gerieten
während der hysterischen Atomdebatte indes völlig aus dem Blick. Die
Geschichte des Euro ist eine Geschichte gebrochener Versprechungen — alle
früheren Aussagen gelten nichts mehr.
Viele Menschen fragten sich, was die Antwort sein wird auf die seit einem
halben Jahr andauernde Debatte über Thilo Sarrazins Thesen. Daß jetzt gerade
jene Partei großen Zulauf verbucht, die der Perspektive der deutschen
Selbstabschaffung am meisten abgewinnen kann, ist eine Pointe. Sie ist nur
deshalb wenig überraschend, weil keine der bürgerlichen Parteien derzeit den
Mut hat, sich Sarrazins Problembeschreibungen nur ansatzweise zu eigen zu
machen.
Die Wahl in Baden-Württemberg hat ein eingespieltes Gefüge ins Wanken
gebracht: Der Südwesten war bis jetzt traditionell schwarz. Dort hatte die
Union ihre stärksten Wurzeln, ihre sichere Bank. Das ist nun passe. Der
Verlust der Macht in Stuttgart ist Markstein der Metamorphose einer Partei,
die nicht mehr sein will, was sie war.
In der sich jetzt herauskristallisierenden
Konstellation erleben wir einen Wettlauf um die bestmögliche Kompatibilität
bürgerlicher Parteien mit den Grünen. Alle
Positionen werden dabei auf ihre Paßgenauigkeit zu den Schnittstellen der
Ökopartei ausgerichtet. Da ist man schon weit gediehen:
Norbert Röttgen
überholt Trittin schon als Atomaussteiger. Union und FDP wollen die Grünen
beim Klimaschutz (selbst Helmut Schmidt hält das für ausgemachten Schwindel)
überbieten. Dann Ursula von der Leyen
mit ihrem sozialistisch-feministischen Umerziehungsplan „Gender
Mainstreaming", ihrem Kampf um eine die Wirtschaft
gängelnde Frauenquote: Zwischen sie und
Claudia Roth paßt im Grunde kein Blatt
Papier mehr.
Repräsentanten, die für den Rest-konservativen Flügel der Union standen, wie
Friedrich Merz
oder Roland Koch
sind gegangen, Guttenberg
abgestürzt. Erika
Steinbach, letzte verbliebene Symbolfigur
der Konservativen und Anwältin der Vertriebenen, war als Bremsklotz beim
Marsch nach links von Merkel gemeinsam mit Westerwelle schon frühzeitig
ausgeschaltet worden.
Es hatte sich aus der Entstehung des Parteiensystems in der Bundesrepublik
die Tradition entwickelt, daß Sozialdemokraten in den Parlamenten links und
die Christdemokraten als Nachkommen des katholischen Zentrums in der Mitte
Platz nahmen. Die FDP, einst nationalliberal ausgerichtet, fand stolz auf
der Rechten ihren Platz. Als die Grünen 1983 erstmals in den Bundestag
einzogen, erhielten sie die Mitte zwischen SPD und CDU/CSU zugewiesen — auf
ausdrücklichen Wunsch der SPD, die den linken Flügel als Stammplatz halten
wollte. Rückblickend eine ahnungsvolle Festlegung, sind die Grünen doch
inzwischen zum heimlichen politischen Kraftzentrum der Republik geworden, an
dem sich alle Parteien meinen ausrichten zu müssen.
Wie sehr die CDU mittlerweile ängstlich darauf bedacht ist, molekulare
Reste des Anscheins auszulöschen, sie könne noch Heimstatt für rechtes,
traditionsorientiertes, konservatives Bürgertum darstellen, zeigt eine
peinliche Posse aus Sachsen-Anhalt:
Im 2011 neu gewählten Magdeburger Landtag
stritten die Fraktionen von SPD, neueingezogenen Grünen und CDU allen
Ernstes, wer künftig auf dem rechten Flügel des Parlamentes die Stühle
belegt — nachdem die FDP den Landtag verlassen mußte. Die CDU weigerte sich
strikt, diese Plätze einzunehmen! Letzlich mußten die Grünen tatsächlich
symbolträchtig rechts von der nach links rückenden CDU Platz nehmen. Das ist
doch unfaßbar!
Bei der Bundestagwahl im Jahre 2013
wird ein grüner Bundeskanzler Trittin
nun erstmalig denkbar. Denn angesichts der Schwäche der einstigen
Volkspartei SPD bleibt für die Genossen wohl nur noch die Rolle als
Juniorpartner der Grünen. Was würde das für Deutschland bedeuten?
Gesteigerte Masseneinwanderung
in die Sozialsysteme, weil letzte Zuwanderungshemmnisse beseitigt werden.
Dramatische Steuererhöhungen!
Spitzensteuersatz auf über 50 %, Mehrwertsteuer auf 25 %,
Benzinpreise weiter auf der nächsten Seite von
deutlich über 2 Euro pro Liter dank
höherer Ökosteuer, Strom
und Energie werden zum Luxus, Packung
Zigaretten 7 Euro,
Sozialismus macht
erfahrungsgemäß arm.
Und die Privilegien einer Funktionärskaste wollen (vom Steuerzahler) bezahlt
werden.
Doch Öko-Sozialismus rot-grüner
Prägung spürt der Bürger nicht nur im Geldbeutel.
Die Abschaffung
sämtlicher bürgerlicher Institutionen wie Ehe, Familie und Privateigentum
ist den Sozialisten ebenso ein Herzensanliegen
wie der
Generalangriff auf Glaube, Kirche und Religion.
Privaten Krankenversicherungen droht wohl die
Verstaatlichung — und ihren Versicherten die
Enteignung.
Ein absurder, mit Steuergeldern finanzierter „Kampf gegen Rechts" hat sich
wie Mehltau über das Land gelegt. Und fast niemand scheint sich mehr dem
Gesinnungsdruck der „Political Correctness" entgegenzustellen. Der damalige
Chefredakteur der „Wirtschaftswoche", Stefan
Baron, brachte es in einem Kommentar im
Jahr 2005 auf den Punkt: „Wer wagt denn in diesem Land noch, sich als
Rechter zu bezeichnen? Wer wagt es noch, traditionell rechte Werte
wie Leistung, Selbstverantwortung, Glaube, Familie, Vaterland et cetera
offensiv zu vertreten?"
Woran liegt es nun aber, daß die Linke in Deutschland politisch derzeit
dermaßen triumphiert? Es liegt nicht
zuletzt an der Macht der Medien. Ob
öffentlich-rechtlich oder privat: Überall
dominieren Journalisten, deren Herz links schlägt.
Bei einer repräsentativen Umfrage unter Journalisten gab eine
erdrückende Mehrheit zu erkennen, linken Parteien anzuhängen. Absoluter
Spitzenreiter sind die Grünen mit 35,5 Prozent, gefolgt yon der SPD mit 26
Prozent. Lediglich 15 Prozent neigen Union und FDP zu.
Die Konservativen haben es in der Vergangenheit sträflich versäumt, auf dem
Feld der Medien ihren Einfluß auszubauen. Im Gegenteil: Es wurden immer mehr
Zeitschriften und Zeitungen aufgegeben: Zuletzt von der deutschen
Bischofskonferenz im Herbst 2010 die traditionsreiche und einst konservative
Wochenzeitung „Rheinischer Merkur", deren
Abonnenten ausgerechnet an die linksliberale Hamburger Wochenzeitung „Die
Zeit" ausgeliefert wurden!
Die "Junge Freiheit" kämpft indes als verlagsunabhängige Publikation
unermüdlich für die Stärkung einer konservativen Gegenöffentlichkeit.
Sie hat in den letzten Jahren stetig zugelegt. Im Juni 2011 feiert sie den
25. Jahrestag ihrer Gründung. 1986 in Freiburg im Breisgau gegründet,
erscheint sie seit 1994 als Wochenzeitung aus der Hauptstadt Berlin.
Angesichts des ungeheuren linken Gegendrucks ist der Ausbau und das
Überleben der JF ein publizistisches Wunder.
Stärken Sie jetzt die Stimme des selbstbewußten, freiheitlichen
Konservatismus!
Öffentlicher Brief von Dieter
Stein, Chefredakteur der Wochenzeitschrift "Junge Freiheit", 30. April 2011
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